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0909 - Drachentod

0909 - Drachentod

Titel: 0909 - Drachentod
Autoren: Andreas Balzer
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teure Absteige für eine Liebesnacht , dachte Chin-Li. Und unvorsichtig. Bei dem Geld, das Wang inzwischen für seine außerehelichen Eskapaden ausgab, konnte seine Frau gar nicht anders, als misstrauisch zu werden.
    Die attraktive junge Frau an der Rezeption begrüßte Simon Wang wie einen alten Bekannten. Offenbar hatte der Börsenprofi seine Liebeshöhle schon vorher gebucht.
    Niemand achtete auf Chin-Li, als sie wie ein Schatten an dem Liebespaar vorbeihuschte und der Hotelbar entgegenstrebte. Scheinbar gedankenverloren rückte die Chinesin ihre Sonnenbrille zurecht und löste die Miniaturkamera ein weiteres Mal aus, als Simon Wang den Schlüssel in Empfang nahm. Die Zimmernummer war deutlich zu erkennen. 611.
    Der Finanzexperte bemerkte gar nicht, dass Chin-Li ihn im Vorbeigehen kurz streifte und eine Wanze an seinem teuren Mantel platzierte. Jetzt musste sie nur noch abwarten, was passierte.
    Mit dem blasierten Gesichtsausdruck einer schwerreichen Hotelbesucherin, die noch nie in ihrem Leben gearbeitet hatte, betrat Chin-Li die Bar, setzte sich in die hinterste Ecke und orderte einen Tee. Die eisige Arroganz, die sie ausstrahlte, würde jeden noch so abenteuerlustigen Gast davon abhalten, sie anzusprechen und sein Glück bei ihr zu versuchen.
    Mit größter Selbstverständlichkeit zog Chin-Li den Ohrstecker ihrer Abhöranlage aus einer Jackett-Tasche und steckte ihn sich ins rechte Ohr. Das Design der Vorrichtung entsprach exakt dem eines gewöhnlichen iPods. So konnte sie alles mithören, was im Hotelzimmer vor sich ging, ohne dass jemand Verdacht schöpfte.
    Es bereitete Chin-Li nicht das geringste Vergnügen, zuzuhören oder zuzusehen, wie andere Menschen Intimitäten austauschten. Aber das gehörte zu den Dingen, die sich bei dieser Art von Tätigkeit nicht vermeiden ließen. Es wird Zeit, dass ich mir einen anderen Job suche , dachte die Kriegerin frustriert, während sie lauschte, wie sich die Dinge in Zimmer 611 entwickelten.
    Es lief genauso ab wie immer. Er machte ihr schlüpfrige Komplimente, auf die sie mit giggelndem Lachen reagierte. Und dann wurde kaum noch gesprochen. Es war so stereotyp, dass Chin-Li für einen Moment überlegte, den Stecker einfach aus dem Ohr zu nehmen. Schließlich zeichnete das Gerät alles auf, was in dem Raum vor sich ging. Doch sie entschied sich dagegen. Vielleicht erfuhr sie ja noch ein wichtiges Detail, oder das Schäferstündchen wurde wider Erwarten vorzeitig beendet.
    Das wurde es in der Tat.
    ***
    Château Montagne, Frankreich
    Die Kugel war kaum größer als eine Murmel und bestand aus reinem Silber. Professor Zamorra hatte sie vor sich auf den Boden seines Zauberzimmers gelegt und mit Kreide einen Kreis aus magischen Symbolen darum gezeichnet. Alles war bereit.
    War er es auch?
    Der Parapsychologe hatte sich stundenlang durch eine Abfolge komplizierter Übungen auf den Zauber des rasenden Mondes eingestimmt. Doch jetzt kam erst der wirklich schwierige Teil. Zamorra legte die Kreide beiseite, versenkte sich tief in sich selbst und öffnete die Tür zu Erinnerungen, die er die meiste Zeit sorgsam geschlossen hielt.
    Es ist alles da , sagte eine Stimme in seinem Inneren. Du musst dich nur bedienen. Es war die Stimme seines anderen Ichs. Tsa Mo Ra.
    Dann kamen uralte Formeln über seine Lippen, in einer uralten, längst vergessenen Sprache, die entfernt an Chinesisch erinnerte.
    Die Kugel vibrierte. Fast unmerklich bewegte der Dämonenjäger den rechten Zeigefinger und ließ ihn kreisen, erst langsam, dann schneller. Gleichzeitig begann auch die Kugel zu rotieren. Sie drehte sich immer schneller um die eigene Achse, bis sie fast vom Boden abzuheben schien. Die in ihr gefangene Energie war so mächtig, dass sie sich kaum noch unter Kontrolle halten ließ.
    Zehn Jahre hatte der Dämonenjäger als Hofzauberer in Choquai gelebt, dem sagenumwobenen Vampirreich des Götterdämons Kuang-shi. Es war nicht lange her, dass ihm der chinesische Vampir Fu Long seine Erinnerungen an diese Zeit zurückgegeben hatte. Und Zamorra wusste immer noch nicht, ob er sich darüber freuen sollte.
    Am schwersten war es für Nicole. Immerhin hatte sie sich daran gewöhnen müssen, dass ihr Lebensgefährte einen guten Teil dieser zehn Jahre an der Seite der schönen Vampirfrau Shao Yu verbracht hatte.
    Doch Nicole hielt sich gut. Nur ab und zu merkte Zamorra, dass ihr Wissen um sein anderes Leben noch an ihr nagte. Etwa dann, wenn sie sich ohne jeden Grund als eifersüchtige Furie aufspielte.
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