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09 Der Sohn des Greifen (alte Übersetzung)

09 Der Sohn des Greifen (alte Übersetzung)

Titel: 09 Der Sohn des Greifen (alte Übersetzung)
Autoren: George R. R. Martin
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entfernt. Es war eine Ewigkeit her, seit irgendein Gott ihn erhört hatte. Er wusste nicht, wer er war, was er war und warum er immer noch lebte, warum er überhaupt geboren worden war.
    »Theon«, schien eine Stimme zu flüstern.
    Sein Kopf fuhr hoch. »Wer hat das gesagt?« Alles, was er sehen konnte, waren die Bäume und der Nebel, der sie einhüllte. Die Stimme war so leise gewesen wie raschelndes Laub, so kalt wie Hass. Die Stimme eines Gottes oder die eines Geistes. Wie viele waren an dem Tag gestorben, als er Winterfell eingenommen hatte? Wie viele an dem Tag, als er es verloren hatte? An dem Tag, an dem Theon Greyjoy gestorben ist, um als Stinker wiedergeboren zu werden. Stinker kommt von stinken, und das reimt sich auf ertrinken.
    Plötzlich wünschte er sich fort von hier.
    Nachdem er den Götterhain verlassen hatte, fiel die Kälte über ihn her wie ein gefräßiger Wolf und packte ihn mit ihren Zähnen. Er senkte den Kopf gegen den Wind und eilte den anderen hinterher, die mit Kerzen und Fackeln zur Großen Halle gingen. Eis knirschte unter seinen Stiefeln, und plötzlich riss ihm eine Böe die Kapuze vom Kopf, als habe ein Geist sie mit Frostfingern weggezogen, damit er sein Gesicht sehen konnte.
    Für Theon Greyjoy war Winterfell voller Geister.
    Dies war nicht mehr die Burg, an die er sich aus dem Sommer seiner Jugend erinnerte. Dieser Ort war zerstört und zertrümmert, mehr Ruine als Festung, Schlupfwinkel von Krähen und Leichen. Die große doppelte Ringmauer stand noch, denn Granit lässt sich nicht so leicht vom Feuer besiegen, doch die meisten Türme und Bergfriede innerhalb der Burg hatten kein Dach mehr. Einige waren eingestürzt. Strohdach und Balken waren ein Raub der Flammen geworden, manchmal vollständig und manchmal nur teilweise, und unter den zerschmetterten Scheiben der Glasgärten waren das Obst und Gemüse, das für die Versorgung der Burg im Winter gedacht gewesen war, tot und schwarz und erfroren. Der Hof stand voller Zelte, die halb im Schnee begraben waren. Roose Bolton hatte sein Heer innerhalb der Mauern untergebracht, zusammen mit seinen Freunden, den Freys; Tausende drängten sich in den Ruinen und in jedem Hof, schliefen in den Kellergewölben und Türmen ohne Dach und in Gebäuden, die schon seit Jahrhunderten verlassen waren.
    Graue Rauchschwaden ringelten sich aus den wiederaufgebauten Küchen und der neu überdachten Kaserne. Die Wehrgänge und Zinnen waren von Schnee gekrönt und hingen voller Eiszapfen. Alle Farbe war aus Winterfell gesaugt worden, bis nur noch Grau und Weiß geblieben waren. Die Farben der Starks. Theon wusste nicht, ob er darin ein gutes oder ein schlechtes Vorzeichen sehen sollte. Sogar der Himmel war grau. Grau und grau und grauer. Die ganze Welt ist grau, überall, wohin man schaut, alles ist grau, nur nicht die Augen der Braut. Die Augen der Braut waren braun. Groß und braun und voller Angst. Es war nicht richtig, dass sie in ihm ihren Retter sah. Was hatte sie gedacht? Dass er ein geflügeltes Pferd herbeipfeifen und einfach mit ihr davonfliegen könnte, wie ein Held aus den Geschichten, die sie und Sansa so geliebt hatten? Er konnte sich nicht einmal selbst helfen. Stinker kommt von stinken, und das reimt sich auf hinken.
    Überall im Hof hingen Tote halb gefroren an Hanfseilen, und ihre aufgedunsenen Gesichter waren mit weißem Raureif überzogen. In Winterfell hatten Flüchtlinge Unterschlupf gesucht, als Boltons Vorhut die Burg erreicht hatte. Mehr als zwei Dutzend hatte man mit Spießen aus den halb zerfallenen Türmen und Bergfrieden getrieben, wo sie sich eingerichtet hatten. Die verwegensten und aufsässigsten hatte man gehängt, die anderen zur Arbeit gezwungen. Wenn sie gute Dienste leisteten, hatte Lord Bolton ihnen erklärt, werde er Gnade walten lassen. Stein und Holz waren leicht zu beschaffen, denn der Wolfswald war nah. Zuerst waren starke neue Tore errichtet worden als Ersatz für jene, die verbrannt waren. Dann hatte man das eingestürzte Dach aus der Großen Halle weggeräumt und eilig ein neues errichtet. Nachdem die Arbeit erledigt war, hatte Lord Bolton die Arbeiter aufhängen lassen. Getreu seinem Wort hatte er Gnade walten lassen und keinem einzigen die Haut abziehen lassen.
    Zu diesem Zeitpunkt war bereits der Rest von Boltons Heer eingetroffen. Man hisste König Tommens Hirsch-und-Löwen über den Mauern von Winterfell, als der Nordwind heulend zu wehen begann, und darunter den gehäuteten Mann von Dreadfort. Theon kam
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