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0866 - Die Herrin der Raben

0866 - Die Herrin der Raben

Titel: 0866 - Die Herrin der Raben
Autoren: Christian Schwarz
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wollte rasch weitergehen. Bruder Franziskus trat ihr in den Weg. Er hielt ihr sein Brustkreuz direkt vors Gesicht.
    Die Hexe prallte zurück. Sie zischte etwas, das wie ein Fluch klang.
    »Euer letztes Stündlein hat geschlagen, Gräfin von Waldstein«, sagte Abraham a Sancta Clara fest. »Wir wissen, dass Ihr eine üble Hexe seid und schicken euch nunmehr in die Hölle zurück, die euch einst ausspie.«
    Theresia Maria handelte blitzschnell. Sie überraschte die beiden Mönche völlig. Eine Art Pfiff ertönte. Plötzlich stürzten sich die Raben auf die Männer und hackten nach ihnen.
    Die Mönche kämpften verbissen. Franziskus verschaffte sich kurz Luft. Die Hexe flüchtete! Er sah sie nur noch als Schemen im dichten Schneetreiben. Ohne lange zu überlegen, warf er sein Kreuz nach ihr.
    Es wirbelte durch die Luft - und traf Theresia Maria in den Rücken. Sie schrie grässlich auf, stolperte, fiel der Länge nach hin. Die Raben stellten ihre Attacken ein und flüchteten kreischend. In diesem Moment erlosch die Macht der Hexe über die Vögel, die sie kurzzeitig in ihren Bann gezwungen hatte.
    Abraham schrie ebenfalls. Sie hatten obsiegt!
    Nein, noch nicht. Die Worte des Engels kamen ihm wieder in den Sinn. Nur die heilige Kreuzpartikel konnte die Furchtbare zwingen.
    Sie hasteten zur Hexe hin, die sich gerade auf den Rücken drehte. Abraham holte das Kristallkreuz unter dem Mantel hervor und hielt es Theresia Maria entgegen.
    Die Gräfin stöhnte grässlich. Ja, der Engel des Herrn hatte recht gehabt. Sie wandelten auf der richtigen Spur. Der Sieg war ihrer. Gleich, gleich…
    Die Hexe platzte förmlich aus ihrer Kleidung. Plötzlich hing sie zehn Fuß hoch in der Luft, frei schwebend, nackt, die Haare wie Igelstacheln nach allen Seiten ausgerichtet und trotzdem von dämonischer Schönheit. Sie spreizte Arme und Beine wie Christus am Kreuz, um ihn dadurch zu verhöhnen. Ihr Leib, noch weißer als der fallende Schnee, wurde von einem fahlen, hellgelben Leuchten eingehüllt, das ihre Konturen nachzog. Es sah aus, als würde sie brennen. Ein irres Lachen brach sich an den umstehenden Häusern.
    Abraham a Sancta Clara schrie auf. Er warf das Kristallkreuz mit großer Wucht. Es traf die Gräfin direkt an der Brust.
    Lichtkaskaden zuckten durch die Nacht, durchdrangen mühelos den Vorhang aus Schnee. Theresia Maria schrie wie am Spieß, zuckte, versuchte verzweifelt, das Kristallkreuz von sich zu reißen.
    Vergeblich. Jede Berührung verbrannte ihre Finger, verfärbte die Arme dunkel. Weißes Licht, das immer greller aus dem Holzstück drang, durchflutete ihren Körper und ließ ihn für einen Moment durchsichtig werden. Die geschockten Mönche erkannten Knochen und einzelne Organe, darunter ein übergroßes, wie ein schwarzer Schatten wirkendes Herz. Die Lichtlanzen zerfetzten es förmlich.
    Gräfin Theresia Maria von Waldstein knallte wie ein Stein auf den Boden. Grässlich röchelnd lag sie auf dem Rücken. In einem letzten Aufbäumen versuchte sie, sich doch noch vom Kristallkreuz zu befreien. Dann erschlafften ihre Glieder, ihr Kopf fiel zur Seite. Die Haut verschrumpelte in rasendem Tempo, verfärbte sich tief schwarz, wurde rissig und brüchig und brach schließlich von den Knochen. Feiner Staub vermischte sich mit den Schneeflocken. Nur noch ein menschliches Skelett lag vor ihnen.
    Abraham a Sancta Clara, den ansonsten nichts so leicht erschütterte, schluchzte laut. Als er sich wieder beruhigt hatte, wollte er die heilige Kreuzpartikel vom linken Rippenbogen lösen. Er schaffte es nicht. Verblüfft musste er feststellen, dass es förmlich mit dem Skelett verschmolzen war.
    Er sah es als Zeichen Gottes. Das Kreuzstück musste bis zum jüngsten Tag mit dem Skelett verbunden bleiben, damit die Hexe nicht wiederauferstehen konnte.
    Abraham lud sich das Skelett auf die Schultern und trug es, unterstützt von Franziskus, durch die leeren Gassen bis zum nächsten Stadttor. Nur ein einsamer Zecher begegnete ihnen. Von sichtlichem Grauen erfüllt schwankte der alte Mann auf die andere Seite. Wahrscheinlich schrieb er den Anblick der Skelett tragenden Mönche seinem übermäßigen Biergenuss zu.
    Am Stadttor bat Abraham die Wächter, das Tor zu öffnen. Er müsse die erste Pestleiche aus der Stadt bringen. So schnell war noch kein Tor vor ihm aufgegangen.
    In Leopoldstadt begegneten sie einem Siechknecht. Er legte das Skelett auf den Totenkarren, ohne irgendwelche Fragen zu stellen. Zusammen schoben sie es, mit anderen
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