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0861 - Manege der Hölle

0861 - Manege der Hölle

Titel: 0861 - Manege der Hölle
Autoren: Volker Krämer
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einladend.
    Laertes hatte einen ausgezeichneten Blick auf die Manege - einen noch besseren auf Stygia. Beides schien ihm wichtig. Dann flammte der hellrote Lichtschein auf. Der Vorhang teilte sich, die Fanfarenstöße schmerzen in seinen überempfindlichen Ohren. Dalius achtete nicht darauf. Seine Aufmerksamkeit wurde von dem gefesselt, was dort unten geschah…
    Jeder erwartete wohl sofort und ohne weitere Verzögerung den Auftakt mit einem großen Knalleffekt. Doch es kam zunächst ganz anders. Gut drei Dutzend seltsam anmutende Figuren staksten in die Arena, verteilten sich um das Rund.
    Laertes zog die Augenbrauen in die Höhe. Holzpuppen? Offenbar. Sie waren von menschlicher Statur und Größe, ohne Bekleidung, ohne irgendeine Verzierung. Arme und Beine, Rumpf, der Kopf ohne Gesichtszüge. Laertes erinnerte sich, solche Figuren bei Künstlern der Menschen gesehen zu haben. Das waren Gliederpuppen, anatomische Lernobjekte, an denen etwa ein Maler oder Bildhauer die Positionen der Menschengestalt verinnerlichen konnte. Die hier jedoch schienen mit unheiligem Leben beseelt zu sein - außerdem waren sie gut sieben Fuß groß.
    Weiter kam er in seinen Überlegungen nicht, denn wie auf ein heimliches Kommando hin drehten sich die Puppen in Richtung der Loge, in der Stygia thronte. Sie erhoben ihre Arme grüßend zur Fürstin. Ein Lachen ging durch die Reihen der Zuschauer, denn auf ein Mal hatten alle Puppen einen Clownsmund. Und den benutzten sie auch:
    »Wir, die Todgeweihten der Manege, grüßen Dich, o Fürstin der Finsternis! Dies alles geschieht zu deinen Ehren - erfreue dich daran!«
    Laute Schreckensschreie wurden von überall her laut, als sich die Köpfe der überdimensionierten Gliederpuppen von ihren Rümpfen lösten, rasend schnell zum Zeltdach aufstiegen… und dort lautlos explodierten. Ein Farbenrausch aus Licht senkte sich langsam auf die Zuschauer nieder. Dann ertönte eine weitere Fanfare, ein grellweißer Lichtstrahl durchschnitt das Zeltinnere, verharrte exakt in der Manegenmitte.
    Alle Augen starrten gebannt auf ihn - Nybbas, den Direktor aller Zirkusdirektoren!
    Der Dämon, dessen Uniform an Pracht und Prunk nun wahrlich nicht mehr zu überbieten war, verneigte sich tief vor Stygias Loge.
    »Sehr verehrtes Publikum - meine Fürstin! Ich lade euch alle ein zu einer Show, die man nie wird vergessen können. Genießt, lacht, freut euch! Weint, bangt und schreit, wenn euch danach ist. Aber bitte nicht vor Freude und Glück den Nachbarn beißen.«
    Ein kurzes Gelächter aus ungezählten Kehlen unterbrach ihn.
    Nybbas brachte sie alle mit einer Geste zum Schweigen. »Ich werde zum Höhepunkt der Show wieder bei euch sein - bei dir, geliebte Fürstin. Denn dann sollst du ein Geschenk erhalten, ein Kleinod, wie man es nicht alle Tage erleben kann. Und nun«, das Licht erstrahlte plötzlich von überall her, »nun soll sie beginnen, die Show aller Shows!«
    Nybbas verschwand in einer Rauchwolke, die aus Silberstaub zu bestehen schien; gleichzeitig lösten sich die kopflosen Gliederpuppen auf, als hätte es sie überhaupt niemals gegeben. Die Manege war leer… doch nicht für lange Zeit, denn das Spektakel startete mit einer Wucht, die sich wie eine Welle über das Publikum ergoss. Auch Laertes ließ sich davon fesseln.
    Hoch über den Köpfen der Zuschauer erschienen plötzlich Drahtseile, die einander kreuzten; auf ihnen balancierten anmutige Wesen, bei deren Anblick man befürchten musste, das sie der geringste Windhauch vom Seil stoßen konnte.
    Tiere, Menschen, Sensationen - der alte Werbespruch von der Erde ging Dalius durch den Kopf. Hier jedoch wurde alles davon zur gleichen Zeit präsentiert.
    Jongleure, eine wilde Reiterstaffel, die immer am Rand der Arena entlanggaloppierte, Schlangenmenschen wanden sich über den sandigen Boden… Messerwerfer, deren hübsche Assistentinnen alle Mühe hatten, das künstliche Lächeln - und ihr Leben - nicht zu verlieren. Als dazu noch reichlich klein geratene Drachen ihre Flugkünste vorführten, indem sie so nah an den Hochseilen entlangflogen, dass die Artisten dort mit doppelten Saltos auf ihre Rücken wechseln konnten, da war die Reizüberflutung komplett.
    Laertes fragte sich, wie er in diesem durcheinander Nicole ausmachen sollte. Er war überzeugt, dass die Französin zu einem Teil der Vorstellung gemacht worden war. Es galt abzuwarten und sich von dem Gebotenen nicht ablenken zu lassen.
    Was ganz sicher nicht einfach werden dürfte…
    ***
    P.T.
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