Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
0829 - Die Hölle der Unsterblichen

0829 - Die Hölle der Unsterblichen

Titel: 0829 - Die Hölle der Unsterblichen
Autoren: Christian Montillon
Vom Netzwerk:
ist alles anders. Die Alten sind jung, und die Jungen alt. Die Lebenden sind tot, und die Toten leben.
    Also war der Zombie nicht tot, war keine lebende Leiche, sondern lebte - und sein Gegenüber war nicht jung, sondern alt… Und er, Andrew, war nicht alt und schwach und am Sterben, sondern jung und kraftvoll und vital…
    Als er die Illusion bis ins Letzte durchschaute, erlosch sie. Der Schutzzauber verlor augenblicklich seine Wirkung.
    Der Grauen erregende lebende Leichnam verwandelte sich in Jean-Mary Lamy, und Andrews Schwäche schwand.
    »Es war knapp, mein Freund«, sagte Lamy. »Ich hätte gedacht, du durchschaust den Schutzzauber schneller.«
    »Warum… hast du mich nicht gewarnt?«, ächzte Andrew. Er befand sich in einem Raum, der durch ein kleines, schießschartenartiges Fenster in der Decke notdürftig erhellt war. An einer Wand befand sich ein schlichtes Regal, dessen Bretter sich unter der Last von Hunderten Bücher und Manuskripten bogen.
    »Aber das habe ich doch… ich konnte dir nicht alles sagen, sonst hättest du nie bis hierher Vordringen können. Ein-Teil unseres Zaubers, der verhindern sollte, dass wir erpressbar werden und unseren Feinden unter Folter den Weg weisen. Wer über alles Bescheid weiß, der könnte niemals die Wand im Keller durchdringen.« Lamy lachte humorlos. »Diejenigen, die den Zauber errichteten, sind davon natürlich ausgenommen.« Er sog scharf die Luft ein. »Vielleicht wäre es besser gewesen, ich hätte dich dort warten lassen. Ich bin auch ohne deine Hilfe fündig geworden.«
    Andrew erhob sich und starrte auf das Papier, das er immer noch in seiner Hand hielt. Die Worte darauf waren nicht mehr mit Blut geschrieben, sondern mit Kugelschreiber. Ein weiteres Detail des Illusionszaubers. »Wie viele Menschen sind jemals bis hierher vorgedrungen?«
    »Niemand«, erwiderte der Greis. »Es gab zwei Magier, die es versuchten.«
    »Was geschah mit ihnen?«
    Lamy schwieg, und Andrew dachte sich seinen Teil.
    »Ich habe viele Stunden lang gesucht«, fuhr der Alte fort.
    »Stunden? Aber…« Andrew brach ab und dachte an das Gefühl der Zeitlosigkeit und des ewigen Falls, als er in der lichtlosen Finsternis festhing. Nun wusste er, wie lange er dort gewesen war.
    »Wer das Symbol benutzt, das du mir beschrieben hast, kann nur ein Ziel haben«, sagte Lamy nachdenklich. »Und das kann wiederum nur eins bedeuten. Ich weiß nun, wer du bist - oder zumindest was du bist. Und wohin du gehen willst.«
    »Und?«
    »Und ich werde dich ein Stück weit führen können.«
    ***
    »Das Blutgebirge! Ich bin in dem Blutgebirge!«, dachte Henri Baudelaire voller Entsetzen.
    Er wusste nicht, wie er hierher gekommen war, doch es gab keinen Zweifel. Eben noch war er auf dem Friedhof in Paris vor Angélique und ihrem eigenartigen Gast zurückgewichen - und nun sah er vor sich die schrundigroten Gipfel, die sich in alle Ewigkeit zu erstrecken schienen.
    Der feuchte Nebel kondensierte bereits auf seiner Haut, und Blutstropfen rannen an ihm herab.
    Der Gestank ließ ihn ebenso schwindeln wie der Schock der plötzlichen Ortsversetzung. Ein Schrei löste sich von seinen Lippen und verlor sich in der unendlichen Weite.
    Er stand auf einem winzigen Felsplateau. Nur Zentimeter vor ihm fiel der Felsen senkrecht ab; direkt hinter ihm ragte der Berg unerklimmbar steil in die Höhe. Winzige rote Bäche rannen über das Plateau, an Baudelaire vorbei. Sein linker Fuß staute ein Rinnsal zu einer breiten Pfütze.
    Gehetzt blickte sich der ehemalige Sektenführer um. Niemand befand sich in der Nähe. Er war allein. Völlig allein - gefangen. Es gab keine Möglichkeit, dieses einsame Plateau zu verlassen. Jeder Versuch würde unweigerlich mit einem Sturz in den Tod enden.
    Wenn Lucifuge Rofocale mich töten wollte, dann hätte er es getan und mich nicht hier abgesetzt, sagte er sich.
    Sofort widersprach ein anderer Teil seines Bewusstseins. Er will dich quälen. Er weidet sich an deinen Qualen und deiner Angst.
    Aber warum? Warum?
    Er konnte seine Gedanken nicht weiter verfolgen, denn durch die Luft näherte sich eine riesige Kreatur. Ein Vogel… ein Adler? Nein, das Ding war größer, viel größer. Gewaltige Schwingen schlugen träge.
    Es kommt genau auf mich zu…
    Baudelaire presste sich mit dem Rücken gegen die glitschige Felswand, fühlte, wie sich die Kälte in seine Wirbelsäule hineinfraß. Die fliegende Kreatur war nur noch einige Meter entfernt. Der ehemalige Sektenführer erkannte zwei Köpfe, kleine
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher