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082 - Die weisse Frau

082 - Die weisse Frau

Titel: 082 - Die weisse Frau
Autoren: Frank Sky
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gesenktem Kopf. Ihr war schlecht. Sie wußte, was sie gesehen hatte, und sie wußte auch, daß sie keineswegs hysterisch war. Dr. Schwab ging mit ihr zur Glocke.
    „Sie sind dran, Herr Kollege“, sagte Anne. „Ich habe eine Freistunde.“
    Sie betrat ihr Arbeitszimmer, ging ans Fenster und blickte in den Schloßpark hinaus. Das Schrillen der Glocke rief die Schülerinnen ins Schloß zurück. Sie schwatzten miteinander, teils aufgeregt, teils ausgelassen. Noch wußte keine, was wirklich geschehen war.
    Anne wartete, bis es auf den Fluren ruhig geworden war, dann trieb es sie in den Park hinaus. Sie brauchte frische Luft. Es zog sie in den Südabschnitt, wo die Rotbuchen standen. Beruhigend knirschte der Kies unter ihren Füßen. Allmählich legte sich ihre Erregung. Ihr wurde bewußt, daß sie Frau von Stöckingen nicht verübeln durfte, daß sie ihr nicht glaubte. Bis zu dieser Nacht hatte sie über jeden gelächelt, der Spukgeschichten erzählte. Sie hatte sich nicht vorstellen können, daß ihr jemals etwas begegnen könnte, was nicht mit dem Verstand zu erklären war. Aber sie hatte die eisige Kälte gespürt; sie hatte die Worte gehört; und sie hatte die weiße Frau gesehen. Das war Realität.
    Sie erreichte den Fluß und setzte sich ins Gras. Grübelnd stützte sie ihr Kinn auf die Knie.
    Wie konnte sie Frau von Stöckingen beweisen, daß es die weiße Frau wirklich gab? Würde die Gestalt wiederkommen?
    Sie hörte ein Geräusch hinter sich, schreckte aus ihren Gedanken auf und fuhr herum.
    Hinter ihr stand ein alter, unglaublich häßlicher Mann. Er grinste sie an. Das graue Haar stand wirr um seinen Schädel. Seine Nase war groß und rot, ein Auge fehlte. Er trug einen abgewetzten Anzug, der noch aus dem vorigen Jahrhundert zu stammen schien. Die Füße steckten in Schuhen, die mit Draht zusammengehalten wurden.
    „Ist sie tot?“ fragte er mit kaum verständlicher Fistelstimme. Er kicherte und blickte Anne mit weit geöffnetem Auge an. „War sie schön? War sie jung? Was hat sie umgebracht? Ist es nur eine? Hihihi! Oder sind es schon mehr? Zwei, drei, vier?“
    Er kam dichter an sie heran. Sein Atem schlug ihr ins Gesicht. Er stank faulig und nach Knoblauch.
    „Nun sag’s doch schon, kleines Mädchen!“ bat er röchelnd. „Ich muß es wissen. War die Tote deine Freundin?“
    Wie konnte der Alte wissen, daß Gerlinde tot war?
    „Was wollen Sie von mir?“ fragte Anne und wich entsetzt vor dem Mann bis ans Wasser zurück. „Lassen Sie mich in Ruhe!“
    Er kicherte wieder. „Ich weiß es schon. Sie hat wieder eine umgebracht. Mit ihren weißen Händen. Hihihi! Mit ihren Todesfingern hat sie ihr das Herz aus dem Leib gerissen. Kommen Sie, mein Kleines, ich werde Ihnen etwas zeigen! Kommen Sie!“
    Er streckte eine Hand nach ihr aus. Anne fühlte, wie ihr die Knie weich wurden. Vor ihren Augen drehte sich alles. Sie konnte den Alten nur durch einen Schleier aus flirrenden Punkten sehen. Die Kehle schnürte sich ihr zu. Sie wollte weiter zurückweichen, rutschte jedoch aus und glitt mit den Füßen ins Wasser.
    Der Fremde beugte sich über sie und streckte ihr die knochigen Hände entgegen. Anne schrie auf, stieß die Hände zurück, sprang aus dem Wasser und floh wie von tausend Furien gehetzt durch den Park zum Schloß zurück. Immer wieder blickte sie sich um, bis sie sicher war, daß der Alte ihr nicht folgte.
    Schließlich blieb sie, am ganzen Leib zitternd, unter einer Buche stehen. Sie sah, daß ein Polizeiwagen vor dem Schloß stand. Die Nähe der Ordnungshüter verlieh ihr Sicherheit. Trotzdem hatte sie sich noch immer nicht beruhigt, als sie die Stufen zum Portal emporlief.
     

     
    Sie betrat das Arbeitszimmer der Schulleiterin, wo sich die Beamten, Dr. Schwab, Dr. Lohmann und Frau von Stöckingen versammelt hatten. Der Kommissar war ein dicklicher Mann mit kurzgestutztem, grauem Haar. Sein Assistent ein junger Mann mit schulterlangem, blondem Haar und einem auffallend gut geschnittenen Gesicht.
    „Kommissar Wahlgahn“, stellte der Polizist sich vor. „Und das ist Assessor Daub. Wir kommen aus der Stadt, wie Sie sich wohl schon gedacht haben. Und Sie sind Fräulein Bloom?“
    „Das bin ich“, antwortete sie abweisend.
    „Nun mal nicht so empfindlich. Niemand klagt Sie an und niemand glaubt Witze darüber machen zu müssen, daß Sie meinen, eine Spukgestalt gesehen zu haben.“
    „Dann ist es ja gut.“
    „Ich habe bereits verschiedene Versionen des Vorfalls gehört“, sagte
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