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0816 - Der Todesbaum

0816 - Der Todesbaum

Titel: 0816 - Der Todesbaum
Autoren: Sylke Brandt
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satt war und die Zeremonie enden konnte. »Sie werden nicht verstehen, was wir hier tun.«
    »Natürlich nicht. Sie kommen aus der Stadt«, antwortete Michel, als würde das alles erklären. »Aber das mit dem Ärger sehe ich anders. Sie sind hier in unserem Reich, Mutter Dahut - hier ist die Natur unsere Verbündete. Wir werden die Kräfte rufen, um den Hain zu schützen.«
    Die Wirtin sah ihn aus ihren grünen, alten Augen scharf an. Er war sich nie sicher, wie sehr sie seinen salbungsvollen Worten glaubte. Manchmal war er fast überzeugt, dass sie wie er dachte. Die Liebe zur Natur, der Wunsch des Ausgleichs und der Rache standen bei ihm wirklich nicht an erster Stelle.
    Aber er wagte es nicht, das auszusprechen. Ebenso wenig wie sie. Also führten sie ihren Tanz der Worte fort.
    »Ja, Michel, du hast Recht. Es ist Zeit, die Streiter der Natur freizulassen. Sie werden dafür sorgen, dass die beiden Fremden unser Geheimnis nicht entschlüsseln können. Und zudem, vielleicht ist es gut, dass sie hier sind.«
    Mutter Dahut hob den Blick, während sie geistesabwesend an der frischen Wunde unter der Kehle tastete.
    »Morgen ist-Vollmond. Keiner unserer Jäger ist mit einem Opfer für die dritte Zeremonie zurückgekehrt.«
    Michel lächelte jetzt.
    »Ja, das stimmt. Vielleicht ist es gut, dass sie hier sind.«
    ***
    »Der Tourist ist weg«, stellte Nicole fest, als sie beim Frühstück saßen.
    Zamorra warf einen Blick zu dem leeren Platz hinüber. »Vielleicht ist er auch zu beschäftigt, um früh aufzustehen«, mutmaßte er, aber seine Lebensgefährtin schüttelte energisch den Kopf.
    »Nein. Ich habe die Blondine vorhin in der Küche gesehen. Und sein Zimmer ist leer.«
    »Woher weißt du, welches Zimmer er hatte?«, spöttelte Zamorra.
    »Bei drei Räumen ist das nicht allzu schwer.« Nicole machte ein finsteres Gesicht. »Seine Sachen sind weg, das Bett ist gemacht, als hätte er nie drin gelegen. Ja, vielleicht ist er vor dem Morgengrauen aufgebrochen. Aber würdest du das tun? In dieser Gegend? Nach einer Nacht mit der da?«
    Sie deutete auf die blonde Frau, die jetzt herein kam, um das Geschirr abzutragen. Nicole versuchte, ihre Gedanken zu lesen, traf aber wieder nur auf das Bild von Zweigen, Laub und grünem Licht. Es hinterließ ein unangenehmes Kribbeln in ihrem Kopf, und sie verzog das Gesicht.
    »Sehen wir zu, dass wir hier raus kommen. Ich brauche ein bisschen frische Luft.«
    ***
    Bocage-Noir war, im hellen Sonnenlicht eines frischen und schönen Morgens, ein wirklich hübsches Dorf.
    Mit seinen alten Häusern und Höfen aus grauem Bruchstein, den schmalen Straßen und niedrigen Mauern sah es fast unwirklich aus, als hätte es unbeschadet eine Zeitreise überstanden. Unvermeidliche Zeugen der Gegenwart wie Straßenschilder und einige wenige Autos bewiesen jedoch, dass sie noch immer durch das 21. Jahrhundert spazierten, wenngleich an einem Ort, der sich mit Händen und Füßen gegen den Fortschritt zu wehren schien.
    Professor Zamorra und Nicole Duval schlenderten Arm in Arm die Hauptstraße entlang - so mochte sich der breitere Weg nennen, der an dem Gasthaus vorbeiführte und sogar eine Asphaltdecke aufwies. Für jeden Unbeteiligten sahen sie aus wie ein Paar müßiger Besucher, die sich auf einen langen erholsamen Tag im Urlaub einstellten.
    »Nun, wie gefällt dir das Dorf jetzt?«, fragte Zamorra schließlich, als sie eine kleine Kreuzung erreichten. Er spielte auf Nicoles ungutes Gefühl letzte Nacht an.
    »Optisch besser. Vom Gefühl her genauso mies wie gestern. Am meisten ärgert es mich, dass ich den Finger nicht darauf legen kann. Siehst du den Garten da?« Sie zeigte auf eine üppige Halbwildnis hinter einer Mauer.
    »Der ist kaum zu übersehen.« Die wuchernden Kletterrosen mit den intensiv duftenden Blüten hätten es mühelos in jeden Hochglanzprospekt eines Züchtervereins geschafft. Auch die anderen Blumen - Margeriten mit handtellergroßen Blüten, strahlendviolette Veilchen und Rittersporn, der fast mannshoch wurde - bewiesen eine ungewöhnliche Gesundheit, Schönheit und Kraft. Trotzdem erhielten sie von Nicole nur einen argwöhnischen Blick.
    »Etwas stimmt an diesen Pflanzen nicht. Sie haben so was wie eine… unrichtige Aura? Wie… wie ein Sportler, der nur deswegen mehr Muskeln als andere hat, weil er sich Steroide spritzt.«
    »Vielleicht haben sie hier einen besonders tollen Dünger«, mutmaßte Zamorra, der von vielen Dingen etwas verstand - Gartenarbeit gehörte jedoch
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