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0772 - Das Gericht der Toten

0772 - Das Gericht der Toten

Titel: 0772 - Das Gericht der Toten
Autoren: Jason Dark
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angetörnt hatte. Da nahm sie auch den Stiernacken in Kauf und das nicht gerade männliche Gesicht.
    Durch die schmalere Hintertür verließ er das schalldicht isolierte Bürogebäude und trat ein in den Lärm der hier immer startenden und landenden Maschinen. In Heathrow gab es so gut wie keine Ruhe, da war immer etwas los.
    Stankowski war so etwas wie ein Abteilungsleiter. Ihm unterstand die Halle A und damit auch die besondere Fracht. Oft genug trafen Waren ein, die unter einem besonderen Schutz standen. Während des Golfkriegs hatten sie hier Gold gelagert, das irgendein Scheich aus Kuwait im letzten Moment außer Landes gebracht hatte.
    Jetzt lagerte in einem abgeteilten Teil der Halle A nur ein wertvoller Gegenstand, eben dieser Stuhl.
    Lemmy hatte es sich abgewöhnt, sich darüber Gedanken zu machen. Klar, es gab bestimmt alte Stühle, die wertvoll waren, aber deswegen so ein Theater zu machen. Um ihn auszupacken, waren Spezialisten einer Londoner Spedition gekommen. Stankowski hatte das Möbelstück nicht einmal zu Gesicht bekommen, aber das würde sich bald ändern.
    Er holte schon den flachen Schlüssel aus der Tasche, um eine Seitentür der Halle zu öffnen, in der es sogar klimatisierte Räume für besonders empfindliche Produkte gab. Schlüssel und Knauf ließen sich gut drehen, und wenig später hatte Lemmy Stankowski die Tür aufgezogen.
    Er pfiff eine Melodie vor sich hin, als er die Halle betrat. In einem schmalen Gang blieb er stehen und zählte die Türen ab. Es war still in der großen Halle.
    Die dritte Tür war es. Wieder holte er einen Schlüssel hervor. Kaltes Licht verlieh der Umgebung einen zarten Blauschimmer.
    Mit dem Knie stieß er die schwere Tür auf. Da sah er in dem gleichen kalten Licht den Sessel.
    Trotzdem glaubte Lem Stankowski, verrückt zu werden. Er zweifelte an seinem Verstand, denn der Gegenstand, auf den er starrte, bestand aus bleichen Knochen…
    ***
    Lemmy wusste nicht, wie lange er sich nicht gerührt hatte. Sehr viel Zeit hatte das nicht in Anspruch genommen, denn er hörte, wie die Tür hinter ihm zufiel. Da regte er sich wieder. Zuerst zwinkerte er mit den Augen, weil er tatsächlich glaubte, dass sich dieses makabre Bild auflösen würde. Es war nicht der Fall. Der aus Knochen bestehende Sessel stand nach wie vor auf seinem Platz, und in der Mitte der Nackenlehne wuchs ein bleicher Totenschädel hoch mit leerem Maul und leeren Augenhöhlen.
    »O Scheiße!«, sagte er nur. »Das gibt es doch nicht! Das darf doch nicht wahr sein.« Lemmy wollte eigentlich verschwinden. Er brauchte sich ja nur umzudrehen und wegzulaufen, es war alles so einfach, doch er brachte es nicht fertig.
    Er blieb stehen und starrte das Knochengebilde an, das auf ihn eine ungewöhnliche Faszination ausübte. Ja, es war ein Drang, den er spürte. Der Knochen-Sessel lockte ihn an, damit er sich darauf setzte.
    Stankowskis Lippen zuckten. Dann grinste er. Es geschah automatisch, nicht einmal bewusst.
    Der Stuhl – es lag einfach am Stuhl. Ein Gebilde aus Knochen, toten Knochen, und gleichzeitig irgendwie lebend, als wäre er als Lockvogel hingestellt worden.
    Lemmys Blick war gewandert und hatte die Stuhllehne erreicht. Er konnte den blanken Knochenschädel einfach nicht übersehen. Der fleisch- und haarlose Kopf war direkt in die Lehne integriert, und Stankowski erlebte etwas, über das er so leicht nicht hinwegkam. Er hatte festgestellt, dass eben dieser Stuhl nicht aus mehreren Teilen zusammengesetzt worden war, sondern aus einem einzigen bestand. Das war einmal ein Mensch gewesen.
    Jetzt stand das Stuhlgerippe vor ihm.
    Er schluckte.
    Der Speichel schmeckte bitter. Schweiß bedeckte seine Handfläche ein glatter Film. Der Stuhl bewegte sich nicht. Er konnte sich auch nicht bewegen. Warum habe ich dann den Eindruck, als würde er zittern?
    Lemmy kam nicht darüber hinweg Oder beschränkte sich dieses Zittern allein auf den Schädel?
    Nein, auch nicht. Aber da tat sich etwas anderes. Seiner Meinung nach bewegte sich die Mundpartie des Kopfes. Ihm schien es, als würde das Skelett etwas kauen.
    Lemmy hob den Arm. Um einen Schrei oder einen anderen Laut zu unterdrücken, presste er die Hand auf seinen Mund. Erst jetzt kam ihm der Schrecken richtig zu Bewusstsein, der von diesem Skelett-Sessel ausströmte. Die Faszination und die Lockung blieben trotzdem. Er hatte längst erkannt, dass der Sessel etwas Besonderes, sogar etwas Einmaliges war, und dass er die Chance erhielt, mit ihm in Kontakt zu
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