Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

0770 - Sie suchen Menschen

Titel: 0770 - Sie suchen Menschen
Autoren: Unbekannt
Vom Netzwerk:
soll der Unsinn?" fragte ich verärgert, während ich verzweifelt versuchte, mich vom Geschmack des Desinfektionsmittels zu befreien. „Ein so gebildeter Mann wie Sie müßte doch eigentlich wissen, daß beim Ausatmen unzählige Bakterien freiwerden", erklärte sie schulmeisterlich. „Die Gefahr einer Übertragung von Krankheitserregern ist schon sehr groß, wenn man anderen nahe kommt. Bei einer Berührung mit den Lippen wächst sie aber ins Unermeßliche. Deshalb meine vorbeugende Maßnahme.
    Jetzt steht einem Kuß nichts mehr im Wege."
    Sie kniff beide Augen zu und spitzte die Lippen. „Sie reden wie meine Posbis und Willys", sagte ich frustriert. „Sie halten wohl nicht viel von den Ratschlägen Ihrer Beschützer?" erkundigte sie sich.
    Ich machte eine wegwerfende Handbewegung. „Lassen wir diese Quälgeister aus dem Spiel. Reden wir lieber über Sie. Ich kenne noch nicht einmal Ihren Namen. Wie heißen Sie?"
    Sie schluckte, als sei es ihr peinlich, ihren Namen zu nennen, dann stieß sie hervor: „Mein Name ist Wilhelmine, aber Freunde dürfen mich Willy nennen."
    „Ich bleibe lieber bei Wilhelmine", sagte ich, weil mich die Koseform ihres Namens zu sehr an meine „Säuglingsschwestern1
     
    *
     
    erinnerte. Und an sie wollte ich in dieser Situation nicht einmal denken.
    Nachdem ich mir das Antiseptikum halbwegs vom Mund gewischt hatte, nahm ich einen neuen Anlauf, um dieses Tete-ä-tete doch noch zu einem erfolgreichen Abschluß zu bringen. „Haben Sie denn wirklich noch nie geküßt, Wilhelmine?" Ich rückte näher; sie wich ängstlich zurück, schüttelte den Kopf. „Auch noch nicht mit Antisept-Spray?" Wieder das verschämte Kopfschütteln.
    Ich betrachtete sie. Machte sie nur auf Unschuld, oder war sie wirklich so naiv und unerfahren, wie sie tat? Ich kam zu dem Schluß, daß sie sich nicht verstellte. In dieser Beziehung kannte ich mich schließlich aus. Dennoch war es für mich unverständlich, wie es auf der SOL ein solch verklemmtes Wesen geben konnte.
    Mir gingen die wildesten Vermutungen durch den Kopf. Da ihre Personaldaten nicht einmal in SENECA gespeichert waren, erwog ich sogar, daß sie auf der SOL ein Einsiedlerleben führte. So unwahrscheinlich das auch klang, unmöglich erschien es mir auf diesem Riesenschiff nicht.
    Galto, sagte ich mir, es wäre für dich eine würdige Aufgabe, diesen weiblichen Eremiten ins Leben zurückzuführen. Aber wie die Sache beginnen? Ich würde behutsam vorgehen müssen, um dieses scheue Reh nicht zu erschrecken. Ich kramte in meinem Erfahrungsschatz nach einer passenden Verführungsmethode. Doch auch das half mir nicht weiter, weil ich mich noch nie in einer ähnlichen Situation befunden hatte.
    Das Schweigen zwischen uns begann bereits peinlich zu werden. „Sind Sie eine Solgeborene, Wilhelmine?" platzte ich schließlich heraus. „Sie sind ein Schmeichler, Galto", erwiderte sie kichernd. „Sie wissen doch, daß die SOL erst vor zweiundvierzig Jahren den Mahlstrom verlassen hat."
    Ich schalt mich einen Narren, diese dämliche Frage gestellt zu haben, denn man sah ihr an, daß sie ein etwas älteres Semester war. „Dann wurden sie also auf Terra geboren", sagte ich. „Was für ein erhebender Augenblick muß es für Sie sein, Wilhelmine, nach so vielen Jahren zur Heimat zurückzukehren. Zur Wiege der Menschheit. Wie wird uns zumute sein, wenn der blaue Planet, dieses funkelnde Juwel unter den Himmelskörpern, inmitten des unendlich erscheinenden Bandes des Mahlstroms auftaucht..."
    Eine Durchsage des Emotionauten Senco Ahrat unterbrach meinen Redeschwall. „An Alle! Wie die Kelosker melden, ist bereits in wenigen Minuten mit der Beendigung der zweiten Flugetappe zu rechnen. Dann haben wir unser Ziel, den Mahlstrom, erreicht. Mit Schwierigkeiten ist nach Aussage der Kelosker nicht zu rechnen. Da es jedoch beim Rücksturz aus den übergeordneten Dimensionen in den Einsteinraum zu geringfügigen Störeffekten kommen kann, werden alle Personen der Zivildienste angewiesen, die Schutzräume aufzusuchen ..."
    „Wir bleiben hier!" beschloß ich, schaltete die Rundrufanlage aus und umarmte Wilhelmine, für die das völlig überraschend kam. „Wir werden diesen großartigen Moment gemeinsam erleben. Nur wir beide allein. Unsere Herzen werden schlagen wie eines."
    „Sagen Sie das allen Mädchen, Galto?" fragte Wilhelmine und versuchte vergeblich, sich aus meiner Umarmung zu befreien. „Wieso, es ist das erstemal, daß ich in den Mahlstrom fliege", stellte
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher