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0726 - Halias Höllenreiter

0726 - Halias Höllenreiter

Titel: 0726 - Halias Höllenreiter
Autoren: Roger Clement
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Gänsehaut bildete. Die Atmosphäre hatte sich schlagartig verändert.
    Die Blinde hatte das Gefühl, plötzlich in einem Eiskeller gelandet zu sein. Doch das war natürlich Unsinn, wie sie sich selbst sofort sagte.
    Das leise Tack-Tack des Deckenventilators deutete darauf hin, dass dieses Zimmer nicht besser und nicht schlechter klimatisiert war als die anderen Geschäftsräume von Mr. Masref, in denen Jane gewesen war.
    Eine moderne Air Condition gab es nicht. Diese Apparate besaßen ein typisches Geräusch, das die Blinde hier nicht orten konnte.
    Es war auch weniger die eigentliche Temperatur, die bei Jane Beklemmungen verursachte.
    Vielmehr kam es ihr vor, als wäre sie plötzlich einer fremden und unfassbaren Macht ausgeliefert. Einer Macht, die über Leben und Tod bestimmen konnte.
    Einer Kraft, der sie, Jane, nichts entgegenzusetzen hatte. Eine Energie aus den tiefsten Abgründen der Unterwelt…
    »Ist Ihnen nicht gut, Memsahib? Sie sehen plötzlich so blass aus.«
    Die helle Stimme der jungen Inderin brachte Jane Westley auf den Boden der Tatsachen zurück.
    Nun mach aber mal einen Punkt, Jane!, fauchte sie sich innerlich selber an. Glaubst du vielleicht, in diesem Zimmer hat sich irgendwo ein Teufel oder Vampir oder soivas versteckt? Mal abgesehen davon, dass es solche Gruselgestalten nicht gibt - wenn es sie gäbe, würde die indische Lady sie gewiss sehen! Also bleib mal cool!
    »Ich bin okay«, sagte Jane und lächelte in die Richtung, aus der die Stimme der Inderin gekommen war. »Ich würde mich nur gerne setzen.«
    »Selbstverständlich, Memsahib.«
    Die junge Frau führte Jane zu einem Sessel. Er knarzte, als sie sich darauf niederließ. Jane tastete über die Armlehnen. Rattan, wie sie vermutet hatte.
    Die Inderin schob den Sessel so zurecht, dass Jane an einem Tisch sitzen konnte. Dabei berührte ihr Gewand die Blinde.
    Die Engländerin spürte den Stoff auf ihrer Haut. Wahrscheinlich trug die Inderin einen Sari, das traditionelle indische Frauengewand.
    Er freute Jane immer wieder, wie viel sie mitbekam, ohne die Augen benutzen zu können.
    Doch ihre gute Stimmung hielt nicht lange an. Eigentlich nur für Sekunden.
    Dann war das Gefühl von Beklemmung und Widerwillen erneut da. Eigentlich war es überhaupt nicht verschwunden, sondern nur kurzzeitig übertüncht worden.
    Janes Überlebensinstinkte flehten sie an, aufzuspringen und aus dem Zimmer zu laufen. So weit zu rennen, bis sie die Gefahr und Bedrohung hinter sich gelassen hatte.
    Aber das kam natürlich nicht in Frage.
    Durch ihre Behinderung wurde Jane von vielen Menschen ohnehin schon merkwürdig behandelt. Die Leute waren unsicher, wussten nicht, wie sie sich verhalten sollten.
    Jane reagierte darauf, indem sie sich so normal und durchschnittlich wie möglich aufführte - und schreiend aus einem völlig harmlosen Zimmer zu fliehen, war nicht gerade ein Zeichen von Normalität.
    Gerne hätte Jane die junge Inderin gefragt, ob in dem Raum irgendetwas Besonderes oder Auffälliges zu sehen war. Doch bevor sie den Mund öffnen konnte, biss sie sich leicht auf die Zunge.
    Selbst diese Frage konnte sie als verwirrt oder seltsam erscheinen lassen. Nein, Jane wollte keinesfalls Aufsehen erregen.
    »Wir haben hier eine große Auswahl an kleinen Schmuckstücken und Statuen aus fast allen indischen Bundesstaaten«, plapperte die Assistentin von Mr. Masref. »Aus Uttar Pradesh, aus dem Punjab, aus Kerala, aus Madras…«
    »Sehr interessant. Könnten Sie meine Hände auf die Kunstwerke legen?«
    Jane musste sich beschäftigten, um nicht auszuflippen. Deutlich konnte sie immer noch die Gänsehaut spüren. Nun kam ein leichter Schweißfilm hinzu, der sich auf ihrem Körper bildete. Die Engländerin fühlte ganz deutlich, wie ihr unter ihrer Baumwollbluse dicke Schweißperlen den Rücken hinunterliefen.
    Etwas in diesem Raum war anders. Nicht so, wie es sein sollte.
    Mit einem Wort: böse.
    Doch die junge Inderin schien nichts davon zu bemerken. Sie gab sich jedenfalls ganz locker, bot Jane einen Tee an.
    »Ja, gerne.«
    Das heiße Getränk würde vielleicht gegen ihre düsteren Gedanken helfen.
    Jane verstand nicht, was mit ihr geschah. Sie war eine Frau, die noch niemals an Übersinnliches geglaubt hatte. Daran hatte sich durch ihre Erblindung nichts geändert. Im Gegenteil. Jane wusste, dass viele andere Kranke Zuflucht bei der Religion gesucht hatten.
    Obwohl sie diese Haltung nicht verurteilte, war das für Jane selbst niemals in Frage
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