Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
071 - Die weisse Wölfin

071 - Die weisse Wölfin

Titel: 071 - Die weisse Wölfin
Autoren: Neal Davenport
Vom Netzwerk:
noch nicht mal zwanzig Uhr.
    Plötzlich hielt neben mir ein Rover. Nur mit Mühe unterdrückte ich einen Schrei und ging langsam weiter. Der Rover folgte mir.
    Hinter dem Steuer saß Miß Pickford. Sie war an die Sechzig und hatte das graue Haar aufgesteckt. Was tut sie in St. Albans, fragte ich mich. Sie war Haushälterin in der Jugendstil-Villa und kümmerte sich hauptsächlich um Phillip Hayward, den Hermaphroditen, dessen Vormund ich nach dem Tod seiner Eltern geworden war.
    Ich bog in eine schmale Seitengasse ein – doch der Rover folgte mir noch immer. Schließlich überholte mich Miß Pickford, öffnete die Wagentür und stieg aus. Sie sah mir mit gerunzelter Stirn entgegen. Ich ging ruhig auf sie zu.
    Aus den Augenwinkeln sah ich die Bewegung im Wagen. Sie war nicht allein. Phillip Hayward befand sich bei ihr. Der Hermaphrodit kroch über die Sitzbank und blieb neben Miß Pickford stehen. Er zeigte mit der rechten Hand auf mich.
    Phillips Haut war unglaublich blaß, fast durchscheinend. Das blondgelockte Haar hing ihm bis auf die schmalen Schultern herunter. Sein Gesicht war glatt, ohne den geringsten Anflug eines Bartes, ein Engelsgesicht mit vollen, sinnlichen Lippen. Die tief in den Höhlen liegenden Augen schimmerten golden und waren starr auf mich gerichtet.
    Ich wollte an den beiden vorbeigehen, doch Phillip sprang auf mich zu. So hatte ich ihn noch selten gesehen. Er klammerte sich an mir fest.
    Miß Pickford fixierte mich genau.
    „Sie sind es, Mr. Hunter!“ rief sie schließlich aus. „Ich hätte Sie nie erkannt, aber Phillip läßt sich nicht täuschen.“
    „Steigen Sie in den Wagen!“ zischte ich. „Und nehmen Sie Phillip mit! Setzen Sie sich in den Fond.“
    Ich blickte mich rasch um. Kein Mensch war auf der Straße. Ich wollte Phillip abschütteln, doch der Junge klammerte sich immer fester an mich. Endlich gelang es mir, ihn ins Innere des Wagens zu zerren, doch er hielt sich noch immer an mir fest.
    „Wie kommen Sie hierher?“ fragte ich und schlug die Wagentür zu.
    „Phillip führte sich den ganzen Tag überaus seltsam auf“, sagte Miß Pickford. „Er verlangte die ganze Zeit nach Ihnen. Coco und ich versuchten ihn zu beruhigen, doch er führte sich immer verrückter auf. Er wollte aus dem Haus, und wir mußten ihn in seinem Zimmer einsperren. Daraufhin zerriß er sämtliche Zeitungen, die er finden konnte, nur die Berichte über Ihre angebliche Untat zerfetzte er nicht. Er stapelte sie, zerknüllte sie dann und sagte: ‚Lügen!’ Sie wissen ja selbst, Mr. Hunter, daß Phillip Fähigkeiten hat, die wir nicht durchschauen.“
    Ich nickte. Der Junge war ein wandelndes Orakel.
    „Ich kann Ihnen nur sehr undeutlich beschreiben, was dann geschah“, sagte Miß Pickford leise. „Es war, als hätte eine fremde Kraft von mir Besitz genommen. Ich handelte wie in Trance. Ich nahm den Rover und fuhr los. Niemand folgte mir. Nach etwa zehn Minuten Fahrt blieb ich in einer einsamen Straße stehen, stieg aus und öffnete den Kofferraum. Phillip lag darin. Er kroch heraus und setzte sich zu mir in den Wagen. Er sprach nichts, aber zeigte mir immer, wie ich fahren sollte. Und ich folgte seinen Anweisungen. Ich wußte, daß er mich zu Ihnen führen würde. Was er ja auch tat.“ Phillip klammerte sich noch immer an mich.
    „Und noch etwas Seltsames ist geschehen“, sagte Miß Pickford. „Öffnen Sie Phillips Hemd!“
    Der Junge trug ein mit Rüschen verziertes Hemd. Als ich seine Brust berührte, durchlief ein Zittern seinen Körper. Phillip bäumte sich auf und brach ohnmächtig zusammen.
    Ich öffnete sein Hemd und hielt den Atem an. Üblicherweise hatte Phillip recht ausgeprägte Brüste, die jetzt jedoch verschwunden waren. Statt dessen wuchs mitten aus seiner Brust eine schwarze Blume.
    Ich beugte mich vor. Jeder Zweifel war ausgeschlossen. Es war eine Wolfsblume. Der Stengel war dünn, die Blätter waren fleischig, und die Blüte hatte die Form einer Wolfsschnauze. Die Blume sah genauso aus wie jene, die mir Trevor gegeben hatte. Trevor hatte mir gesagt, daß eine echte Wolfsblume unglaubliche magische Kräfte besitzen solle. Die Blüte öffnete und schloß sich. Es war ein faszinierender, erschreckender Anblick.
    Ich strich vorsichtig mit der rechten Handfläche über die Blume. Der Stengel krümmte sich, und die Blüte schien nach meiner Hand zu schnappen. Ich zog die Hand zurück und blickte in Phillips Gesicht. Ein Lächeln lag um seinen Mund. Er schlug die Augen auf, und goldene
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher