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0695 - Hexentod

0695 - Hexentod

Titel: 0695 - Hexentod
Autoren: Werner Kurt Giesa
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anderen erstrahlte der Platz in einem silberfarbenen Licht. Der schier unaufhörliche Stiertanz verblaßte, schwand einfach dahin, und auch von den Gestalten zwischen den Tempelsäulen war kaum noch etwas zu sehen.
    Auch von den Schlangen…
    Das alte Kreta schwand dahin.
    Die Gegenwart dominierte - aber was für eine Gegenwart!
    Gigantisch erstrahlte der Vollmond über dem Areal, und sein Silberlicht verdrängte das Gewitterblitzen, das unbemerkt völlig erstarb.
    Das Gesicht einer Frau erschien.
    Es schwebte über allem, erfüllte das ganze Areal.
    Mal war es jung, dann wieder alt.
    Mal war es Tochter, dann Mutter, wieder Kind, dann Schwester, altes Weib.
    Und alles zugleich.
    Unglaublich schnell war der stetige Wechsel, und mit jedem neuen alten Erscheinungsbild zuckten silberhelle Blitze auf.
    Die Lichtstrahlen trafen das Herz des Lachenden Todes - und wurden zum Altar reflektiert, auf dem der Wandteppich der Puppenspielerin ausgebreitet lag.
    Und dorthin ging jetzt Yaga, die Hexe.
    Wie unter Zwang…?
    So, als hätten die Lichtreflexe des schwebenden Herzens diese Reaktion in ihr ausgelöst?
    Vor dem Altar blieb sie stehen und wandte sich Zamorra zu.
    Es gab keine mörderischen Schlangen mehr, die ihn an einer Bewegung hinderten. Langsam näherte auch er sich dem Alter und damit der Baba Yaga.
    Sie sah ihn immer noch an. Nach wie vor hielt sie das Knochenmesser in der Hand, das sie aus Merlins Herz gezogen hatte.
    Seltsamerweise war es unbefleckt. Das Blut des Zauberers klebte nicht an der Klinge.
    In den Höhlen beobachteten die Thessalischen Hexen über das Auge das Geschehen. Keine von ihnen stellte die Frage, ob Yaga auch nur eine Sekunde lang an ihr Kind dachte, das bei den Hexenschwestern in deren Obhut friedlich schlief.
    Es war vorbestimmt, was zu geschehen hatte.
    Die Schicksalsfäden, im Teppich verknüpft, hatten es den Hexen und Yaga gezeigt. Alles musste geschehen, wie es die Fäden verlangten. Von Merlin ebenso wie von Yaga und allen anderen, die miteinander verbunden waren, um mit ihren veknüpften Fäden ein Bild zu schaffen.
    Eines der vielen Bilder auf dem Wandteppich… Bilder, die sich manchmal veränderten, wenn die Puppenspielerin sie manipulierte und mit den Menschen oder magischen Wesen spielte wie mit Marionetten.
    Yaga konnte nichts anderes tun als das, was ihr vorbestimmt war, was ihr eigener Schicksalsfaden von ihr verlangte. Alles, was bisher geschehen war, hatte seinen Sinn und arbeitete auf die Erfüllung der Dinge hin.
    »Jetzt«, sagte sie und sah Zamorra dabei an. Sie legte sich auf den Altar, benutzte den darauf ausgebreiteten Schicksalsteppich als Unterlage.
    »Jetzt, Zamorra, ist es an der Zeit, mich zu töten. So, wie es der Handel verlangt, auf den ich mich einlassen musste, weil ich nicht anders konnte. Stoße das Messer in mein Herz, damit sich mein Schicksal erfülle. Und meine Tochter sich findet. Stoße und töte mich, du Kämpfer für das Gute, Zamorra!«
    Und damit hielt sie Zamorra das Knochenmesser entgegen, mit dem Griff voraus.
    Entsetzt starrte er sie an…
    ***
    Asmodis atmete auf.
    Er hatte es geschafft.
    Mit Merlins Kraft - mit der Kraft seines toten Lichtbruders - hatte er es geschafft, den Zauberwald wieder aufzubauen.
    Wofür, wofür noch…?
    Nur, damit Yaga ihre Genugtuung erhielt?
    Sühne für eine spöttische Bemerkung?
    Es war ungerecht.
    Merlin war tot, und Yaga würde bald auch sterben. So sah es der Pakt vor. Was hatte sie noch davon, dass Asmodis ihr zu Willen war? Was nützte es ihr, über ihn zu triumphieren, wenn sie vielleicht nicht einmal mehr ihren Triumph erlebte? Würde sie noch erfahren, dass es den Zauberwald wieder gab?
    Merlins Tod wies nur allzu deutlich darauf hin, dass es dem Ende entgegenging. Asmodis wusste es einfach, ohne danach fragen zu müssen. Es gab Dinge, die zeichneten sich in ihrer Entwicklung seit geraumer Zeit ab und hinterließen ihre Spuren im Multiversum. Man musste nicht in den verknüpften Fäden eines Schicksalsteppichs lesen können, ob sie zu sehen.
    Er sah sich um.
    Betrachtete den Zauberwald.
    Seine Schöpfung.
    Durchsetzt von Merlins Elementen, aber geprägt von denen des Asmodis.
    Ein Hauch von Düsternis lag über allem. Und - noch gab es wenig Leben in diesem Wald. Was einst in ihm kreuchte und fleuchte, existierte nicht mehr. Der Wald würde völlig neu ›besiedelt‹ werden müssen.
    Asmodis hegte keinen Zweifel, dass sich in diesem magiedurchfluteten Bereich schon bald neues Leben ansiedeln und
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