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0650 - Seelenfeuer

0650 - Seelenfeuer

Titel: 0650 - Seelenfeuer
Autoren: Werner Kurt Giesa
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Der Jungdrache Fooly hatte sie gefunden. Sie trug eine Kostümierung, die einem Fantasy-Film zu entstammen schien. Schwarzes Leder, nietenbesetzt und viel Haut zeigend, ein scharfgeschliffener Dolch… aber sie konnte sich nicht daran erinnern, warum sie diese Kleidung trug. Sie konnte sich an überhaupt nichts erinnern, nicht einmal an ihren Namen. [8]
    Sie war gastlich aufgenommen worden, und Zamorra hatte ihr den Namen »Eva« gegeben. Sie hatte nichts dagegen einzuwenden; der Name gefiel ihr.
    Sie sei in Lyon ermordet worden, hieß es irgendwann, als sie in Italien auftauchte. Sie selbst konnte sich an den Mord nicht erinnern, nur, daß Zamorra sie in Italien fand und zum Château Montagne brachte. Dabei eröffnete er ihr, daß sie schon früher dort aufgetaucht und eben wenig später ermordet worden war. [9]
    Sie hatte selbst daran keine Erinnerung, daß sie schon einmal im Château gelebt hatte. Was geschehen war, hatte man ihr erzählt.
    Das einzige, was mittlerweile festzustehen schien, war, daß sie eine Tochter des Zauberers Merlin war.
    Aber das erklärte nicht ihren Erinnerungsverlust.
    Vor allem erklärte es nicht, wieso sie nichts davon wußte, vor ihrem Auftauchen in Italien schon einmal Zamorra und seine Freunde kennengelernt und bis zu ihrer Ermordung im Château gelebt zu haben. Überhaupt, wie konnte sie leben, wenn sie ermordet worden war?
    Sie verstand das alles nicht.
    Ein weiteres Rätsel war die Kleidung, mit der sie im bewußten Leben aufgetaucht war. Dieser knappe Lederdress, den sie gar nicht mochte. Er symbolisierte eine Welt, mit der sie sich nicht identifizieren konnte. Aber sie hatte diese Sachen getragen, als sie in Italien aufgegriffen worden war - während eines Orkans vom Rücken eines Einhorns geschleudert…
    Ausgerechnet ein Einhorn! Ein normales Pferd hatte wohl nicht gereicht…
    Den Erzählungen der anderen zufolge war sie schon des öfteren auf einem weißen Einhorn geritten. Und sie hatte auch öfters versucht, diese Lederkleidung loszuwerden. Hatte sie fortgeworfen. Und immer wieder erschien sie an Evas Körper. Meist während irgendwelcher magischer Aktionen, auf die sie liebend gern verzichtet hätte, denen sie aber nicht ausweichen konnte. Es ergab sich stets so, daß Eva in bestimmte Geschehnisse hineingezogen wurde und dann handeln mußte, ob sie es nun wollte oder nicht. Und jedesmal war diese bereits fortgeworfene und nach menschlichem Ermessen sogar vernichtete Kleidung wieder an ihrem Körper aufgetaucht, und hin und wieder war auch das weiße Einhorn dagewesen…
    Jetzt aber war diese Kleidung nicht irgendwann unmittelbar an ihrem Körper erschienen, um andere Sachen zu ersetzen, die genauso unmittelbar verschwanden - sondern Eva hatte sie vorgefunden und angezogen.
    Warum?
    Warum tat sie freiwillig, was sie eigentlich nicht wollte?
    Der CD-Player lief.
    Die Musik erklang im Hintergrund. Eva summte das Lied leise mit.
    »Schwarze Vögel, Frau am Meer…«
    Juliane Werdings »Stimmen im Wind«.
    Es war kein Sonnenuntergang wie im Lied beschrieben, sondern früher Morgen, und hier gab es auch kein Meer; selbst das grauglitzernde Band der Loire war weit entfernt unten im Tal; aber Eva interessierte sich dafür nicht. Sie betrachtete sich im Spiegel, prüfte den Sitz ihrer Ledermontur. Zeit war irrelevant.
    »Wie seltsam«, hörte sie sich sagen. »Zeit ist irrelevant… ja…« Und sie erinnerte sich daran, wie sie allein durch ihre Anwesenheit offene Zeitkreise geschlossen hatte. Wie ein Katalysator. Bei einem Aufenthalt in der Vergangenheit und bei ihrer etappenweisen Rückkehr hatte sie jene offenen Kreise um den schrulligen Don Cristofero und den schwarzen Gnom geschlossen, ohne dabei aktiv werden zu müssen. Es war einfach so geschehen. Von ihr ging etwas aus, das Zeitparadoxa aufhob, ausglich, verlöschen ließ. Die Zeitlinien wurden begradigt. [10]
    Dann verließ sie das Zimmer.
    »… hört Menschen schrei'n… sie ist nicht verlassen, nur allein…«
    Niemand schrie, und sie fühlte sich auch nicht verlassen. Aber allein war sie dennoch.
    Eine eigenartige Stimmung hatte sie erfaßt. Die Stimmung paßte zum Lied.
    »… es fängt alles erst an…«
    Textfragmente. Einzelne Verse. Aus dem Zusammenhang gerissen. Eva lauschte dem Lied. Der CD-Player lief noch, als sie auf den Gang hinaus trat. Sie schaltete ihn nicht ab, ließ ihn weiterlaufen. Sie hörte die Musik noch, die Stimme, als die Tür hinter ihr ins Schloß fiel. Langsam durchschritt Eva den
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