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0639 - Merlins Zauberwald

0639 - Merlins Zauberwald

Titel: 0639 - Merlins Zauberwald
Autoren: Werner Kurt Giesa
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und sie hatte in diesem langen Leben sehr viel bewirkt. Da konnte sie allmählich daran denken, die Bühne zu verlassen.
    Unsterblich blieb sie trotzdem im Andenken der Menschen, die von ihr erzählten, die über sie schrieben. Von Generation zu Generation wurden die Legenden weitererzählt.
    Aber jetzt schüttelte sie diese Gedanken von sich wie Staub.
    Noch lebte sie!
    Und sie gedachte, das noch lange zu tun. Sicher, Zamorra würde sie töten. Aber das mochte in ferner Zukunft liegen. Er gehörte zu den Unsterblichen. Er würde sehr lange leben, denn er hatte vom Wasser der Quelle den Lebens getrunken. Ob er Yaga jetzt oder in tausend Jahren tötete, was für eine Rolle spielte es für die Prophezeiung?
    Und ein wenig hegte sie auch die vage Hoffnung, jemand werde seinem potentiell langen Leben gewaltsam ein frühes Ende bereiten.
    Vielleicht sogar sie selbst, um damit die Prophezeiung auszulöschen. Vielleicht tat es aber auch ein anderer. Zamorra begab sich ständig in Gefahr; er kämpfte gegen die Mächte der Finsternis, die ihrerseits versuchten, ihn unschädlich zu machen.
    Wenn es einem der Dunklen gelang, Zamorra zu töten, würde er Yaga nicht mehr töten können.
    War das eine Hoffnung, mit der sie leben konnte?
    Sie wußte es nicht.
    Es gab jetzt Wichtigeres.
    Sie war auf der Suche.
    Sie hatte Broceliande erreicht.
    Merlins Zauberwald.
    ***
    Tief atmete sie durch und genoß den Anblick des Zauberwaldes, der Menschen verschlossen blieb.
    Ein langer, beschwerlicher Weg lang hinter ihr. Aus den Weiten Rußlands bis hierher in Frankreichs Norden, in die Bretagne, fernab von ihrem Haus, das sich auf Hühnerbeinen bewegte und damit zerstampfte, was sich ihm in den Weg stellte.
    Doch dieses Haus hatte die Baba zurückgelassen. Zu auffällig wäre die Spur gewesen, die es hinterließ, auch wenn nicht jeder Mensch diese Spur wahrnehmen konnte. Das blieb jenen Vorbehalten, die in der Magie bewandert waren, oder die sich die Fähigkeit zu träumen aus der Kinderzeit bis ins hohe Erwachsenenalter zu bewahren imstande waren.
    So war sie auf ihrem Ofen geritten.
    In ihm glomm das Feuer, eine schwache Glut, die jederzeit zu heller Lohe aufgrellen konnte, wenn die Baba dies wollte. Dünner Feuerschein drang aus den Spalten der Feuerluke hervor. Auf dem eisernen Ofen mit dem hoch aufragenden Kaminrohr saß sie für ihre Verhältnisse recht bequem und warm, nur war der Begriff Bequemlichkeit vergleichbar mit dem Komfort, den ein Reiter genoß, der den gleichen langen Weg im Sattel seines Pferdes zurücklegte.
    Doch jetzt lagen die Strapazen hinter ihr.
    Sie stieg ab wie ein Reiter, tätschelte den Ofen wie ein braves Tier und versetzte ihm einen Klaps. Mit herunterhängenden Zügeln, die nahe der Feuerluke ständig in Gefahr schienen, von heraussprühenden Funken in Brand gesetzt zu werden und doch niemals entflammten, watschelte das kolossale Stück Eisen auf seinen Hühnerbeinen zur Seite.
    Baba Yaga reckte und streckte ihre Glieder, schritt ein wenig stampfend hin und her durchs Gras dieser einsamen Landschaft; die nächste menschliche Ansiedlung lag außer Sichtweite in der Dunkelheit hinter ihr.
    Vor ihr pulsierte Leben.
    Sie konnte es spüren. Die unbändige Kraft zahlloser Lebensformen strömte auf sie ein. Auch etwas, das Menschen mit ihren verstümmelten Sinnen niemals wahrnehmen konnten. Es fehlte ihnen so vieles… Die Baba hätte ihre Existenz niemals mit der eines Menschen tauschen mögen. Um nichts im Universum. Sie wäre dann blind und taub, gerade noch dazu fähig, sich zu bewegen und alt zu werden. Aber was hätte das für einen Sinn? Was hatte das Leben der Menschen für einen Sinn? Sie fühlten und erlebten doch nur einen Hauch dessen, was sich um sie herum abspielte. Einen nur winzigen Hauch!
    Sie dagegen konnte mit ihren Sinnen weit mehr sehen, konnte alles in sich aufnehmen und es genießen.
    Langsam ging sie auf den Wald zu, und je näher sie ihm kam, Schritt für Schritt, um so deutlicher wuchs er aus den Schatten hervor, wurde immer klarer erkennbar. Menschen hätten auch jetzt noch nichts gesehen.
    Es sei denn, Merlin wollte es so.
    Merlin, der Herr von Broceliande.
    Und wie hell der Mond strahlte in dieser Nacht!
    Rund und voll stand er hoch am Himmel und machte die Nacht fast zum Tage. Mit einer bis dahin nie dagewesenen Intensität beleuchtete er den Zauberwald. Zeichnete jedes Detail klar vor den Augen der Baba auf.
    Und wie groß er war! So groß, als schwebe er unmittelbar über der Erde,
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