Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
0559 - Kapitän Sensenmann

0559 - Kapitän Sensenmann

Titel: 0559 - Kapitän Sensenmann
Autoren: Jason Dark
Vom Netzwerk:
ängstigen. Wir wollen dafür beten, daß er nicht bei uns an die Tür klopft.«
    »Wenn doch?«
    »Dann weiß ich auch nicht mehr weiter.«
    Gayle lächelte schmal. »Aber ich, Mutter.« Sie hob den dunkelroten Pullover an der linken Seite hoch. Dort befand sich die Waffe, ein stupsnasiger Revolver. Er steckte in einer glatten Halfter. »Damit, Mutter, werde ich ihn zum Teufel schicken.«
    »Meinst du?«
    »Natürlich.«
    Harriet winkte ab. »Wenn das mal so einfach wäre, Kind. Ich bin fest davon überzeugt, daß du es nicht schaffen wirst. Nicht mit Kugeln, denn dieser Unhold ist aus den Tiefen der Hölle gestiegen…«
    »Nicht aus dem Wasser?«
    »Es kommt aufs gleiche raus. Du kannst ihn nicht erschießen.«
    »Wie soll ich ihm dann beikommen?«
    »Man muß ihn beschwören. Weihwasser könnte…«
    Das Lachen der Tochter unterbrach Harriet Bowman. »Aber Mutter, doch nicht damit. Nein, keine Sorge, wir packen das schon. Glaube es mir. Ich werde ihn schon richtig begrüßen – wie er es verdient. Glaube mir, Mutter.«
    »Du mußt es wissen.«
    Gayle stand auf. Sie zog ihren Pullover zurecht und schritt auf die Tür zu.
    »Wo willst du hin, Kind? Nach draußen?«
    »Nicht bei dem Sauwetter. Ich möchte nur schauen, ob er kommt.«
    »Es ist zu dunkel.«
    »Ich weiß.« Gayle hatte das Fenster neben der Tür erreicht. Sie brachte ihr Gesicht bis dicht an die Scheibe, um überhaupt etwas erkennen zu können.
    Es war schwer. Um das Haus herum tobte tatsächlich eine Hölle.
    Der Orkan pfiff und heulte. Gayle kannte dies aus ihrer Kindheit, wenn die Herbststürme einsetzten. Ihr Haus stand den Klippen am nächsten. Bei klarem Wetter konnte sie bis weit über das Meer schauen, heute allerdings sah sie nicht viel. Die Nacht besaß eine schwarze Farbe, von der sich nur der Himmel abhob. Er zeigte ein Muster aus grauen, gewaltigen Wolken, die der Sturm vor sich herscheuchte wie eine Horde Tiere.
    Sie bildeten ein unheimliches Muster und paßten sich diesem Spiel der Gewalten genau an.
    Gayle drehte sich wieder um. »Ich sehe ihn nicht«, erklärte sie und streifte ihre Hände an den Hosenbeinen der Jeans ab.
    »Es ist auch zu dunkel.«
    »Vielleicht sollte ich hinausgehen.«
    Harriet Bowman erschrak. Sie stemmte sich hoch. Sorge flackerte in ihrem Blick. »Um Himmels willen, Gayle, du bist wahnsinnig. Bei diesem Orkan kannst du nicht das Haus verlassen. Die Gewalten würden dich packen und über die Klippen hinwegschleudern.«
    Die Polizistin winkte ab. Sie arbeitete in Bristol mitten in der Hafenszene. Da war sie schon einiges gewohnt, auch was Sturm und Wind anging. »So tragisch sehe ich das nicht, Mutter. Aber etwas anderes: Wenn dieser Kapitän Sensenmann erscheint, dann kommt er doch stets mit seinem Schiff. Oder nicht?«
    »Niemand weiß es genau. Es ist nur bekannt, daß er und sein Schiff existieren, wobei man nicht von einem normalen Schiff ausgehen kann. Gayle. Es ist ein Zweimaster, der vor langer Zeit sank. Der Kapitän war ein Pirat und…«
    »Das hast du erzählt. Sogar mit einem Holzbein, nicht?«
    »Richtig, Gayle. Man sagt, daß er damit gegen die Tür klopft, wenn er jemand holen will.«
    »Dann muß er laut klopfen, um das Heulen des Sturms zu übertönen.«
    Harriet Bowman streckte abwehrend die Hand aus. »Bitte, Gayle, keinen Spott. Es ist nicht der richtige Zeitpunkt, um sich über ihn lustig zu machen.«
    »Okay, das sehe ich ein, aber…«
    »Gleich ist Mittemacht!« flüsterte die ältere Frau. »Um diese Zeit erscheint er. Das ist seine Stunde, Kind.«
    Die Polizistin, schaute auf die Uhr. »Da haben wir noch drei Minuten Zeit.«
    Ihre Mutter nickte. Sie hatte sich wieder gesetzt und die Hände gefaltet zum Gebet auf den Tisch gelegt. Ihre Lippen bewegten sich dabei, ohne daß ein Laut zu hören war.
    Auch Gayle hielt sich zurück. Sie wußte, wann sie zu schweigen hatte. Es war nicht einfach für sie, an das zu glauben, was ihre Mutter erzählte. Instinktiv fühlte sie, daß sie sich jetzt zurückhalten mußte. Ihrer Mutter war es sehr ernst. Gayle besaß Menschenkenntnis genug, um sie jetzt nicht zu stören.
    Eigentlich wollte sie sich hinsetzen. Sie konnte sich einfach nicht überwinden. Zwischen Tür und Tisch blieb sie stehen und wartete die Zeit bis Mitternacht ab.
    Noch tat sich nichts.
    Die Sekunden verrannen. Im Haus sprach niemand ein Wort. Der Sturm tobte noch. Manchmal produzierte er schreiende Geräusche, als lägen Tiere im Sterben.
    Noch eine Minute.
    Obwohl Gayle es nicht
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher