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053 - Der steinerne Dämon

053 - Der steinerne Dämon

Titel: 053 - Der steinerne Dämon
Autoren: John E. Muller
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schössen ihr durch den Sinn. Aufgeregt suchte sie nach der Adresse. Tregorran Grange. Das klang wie aus einem Kriminalroman. Sie stellte sich ein riesiges altes Landhaus in Cornwall vor. Lana hatte einen ausgeprägten Sinn für Romantik, den ihr auch die Zivilisation des zwanzigsten Jahrhunderts nicht hatte rauben können.
    Es war typisch für sie, daß sie nicht auf die Idee kam, zu schreiben, sondern telefonierte. Eine Nummer war nicht angegeben, und so rief sie die Auskunft an. Sie bekam die Nummer, bedankte sich, wählte und lauschte mit fast unerträglicher Spannung auf das Freizeichen.
    Endlich meldete sich eine Stimme: „Hier spricht Dr. Bollinger, Tregorran Grange.“
    „Ich rufe wegen der Anzeige an.“
    „Es tut mir leid, die Verbindung ist nicht sehr gut. Können Sie lauter sprechen, junge Dame?“
    „Es geht um Ihre Anzeige im heutigen Globe“, sagte Lana langsam.
    „Ja richtig. Wollen Sie sich bewerben? Ich muß schon sagen, Sie haben Mut.“
    „Ja, ich interessiere mich sehr für die Stellung.“
    „Was haben Sie bisher gemacht?“
    „Ich bin seit sieben Jahren Sekretärin, praktisch seit meiner Schulentlassung. Meine Zeugnisse in Stenografie und Maschineschreiben sind gut.“
    „Warum wollen Sie hier herauskommen?
    „Ich liebe das Leben auf dem Lande und könnte eine Veränderung brauchen. Sonst keine Gründe.“
    „Ich verstehe. Sie haben offenbar die richtige Einstellung. Und Sie scheinen auch die Befähigung zu haben. Sagen Sie, macht es Ihnen etwas aus, zu reisen?“
    „Sie meinen, ob ich zu einem Interview kommen will?“
    „Richtig.“
    „Sie wollen nicht nach London kommen, um sich noch andere Bewerberinnen anzusehen?“
    „Wenn Sie sich eignen, will ich keine Zeit verlieren. Ich habe sowieso schon zuviel Arbeit.“
    Die Stimme klang müde, selbst durch das Telefon. Lana hüpfte fast vor Aufregung von einem Fuß auf den anderen.
    „Selbstverständlich werde ich Ihre Ausgaben ersetzen, wenn Sie sich doch nicht eignen sollten“, sagte die Stimme am anderen Ende. „Können Sie den nächsten Zug nehmen?“
    „Natürlich.“
    „Bis Exeter ist es leicht, dann wird es etwas komplizierter.“
    „Ich werde irgendwann im Laufe des Tages ankommen“, sagte Lana.
    „Sie haben mir noch nicht Ihren Namen gesagt.“
    „Entschuldigung. Ich heiße Lana Davis.“
    „Hm.“
    Ob er einer war, der sich von Namen beeindrucken ließ? fragte sich Lana. Was für einen Eindruck mache ich wohl? Sie betrachtete ihre zierliche, mädchenhafte Erscheinung in dem kleinen Spiegel an der Seite des Schrankes und lächelte.
    Die Stimme des Mädchens vom Fernamt fragte dazwischen: „Wollen Sie weitersprechen? Ihre Zeit ist um.“
    „Nein, danke.“
    Lana hängte ein, wählte erneut und erkundigte sich nach den Zugverbindungen. Im günstigsten Fall konnte sie abends gegen sieben Uhr dort ankommen. Dann war es schon dunkel, und Tregorran Grange lag sicher einige Meilen vom Bahnhof entfernt. Sie telegrafierte Dr. Bollinger ihre Ankunftszeit, mit der vagen Hoffnung, er würde jemand an die Bahn schicken, um sie abzuholen.
     

     
    Sie bestieg ihr Abteil und setzte sich auf einen Fensterplatz. Niemand war im Abteil. Ihr Koffer lag gegenüber im Gepäcknetz und sie fragte sich, ob die Statue darin wohl sicher aufgehoben war. Ihre Gedanken wanderten zu Onkel Tyman. Er wäre mit ihrer Flucht aus London sicher einverstanden gewesen. Vielleicht glitt sein Geist jetzt eben durch den leeren Eisenbahnwagen, sah sie an und lächelte. Das war ein wunderlicher Gedanke, den sie rasch von sich wies. Tyman war so lebendig gewesen. Sie konnte sich ihn nicht in Verbindung mit Geistern vorstellen. Er war so nüchtern und geradeheraus gewesen. Trotzdem hatte es ihm keineswegs an Sensibilität gefehlt. Obwohl sie ihn doch wahrscheinlich besser kannte als jeder andere, vermochte sie ihn schwer einzuschätzen.
    Draußen nahm der Himmel die langweilige Aschfarbe eines Herbstnachmittags an. Der Rhythmus der Räder und das leichte Schaukeln des Wagens machten Lana schläfrig. Und in ihrem halbwachen Dämmerzustand war ihr, als hörte sie eine warnende Stimme, die sie davon abhalten wollte, in die Einsamkeit nach Tregorran Grange zu fahren. Es schien nicht Tymans Stimme zu sein, und Lana überlegte, ob die Warnung sich als gerechtfertigt erweisen würde.
    Als sie aufwachte, sah sie, daß es Abend geworden war. Der Zug konnte nicht mehr weit von ihrem Bestimmungsort entfernt sein, falls er keine Verspätung hatte. Gerade fuhr er
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