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051 - Im Orbit

051 - Im Orbit

Titel: 051 - Im Orbit
Autoren: Jo Zybell
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Und unsere vermehrungssüchtigen Gene gebieten uns, zum Überleben der Gattung Mensch beizutragen. Mir zumindest scheint dies das Gebot der Stunde zu sein. Die Chance ist gering, lächerlich gering. Dennoch werde ich sie nutzen…
     
    Die farblosen Lippen des Mannes verzogen sich zu einem bitteren Lächeln.
    Sie entblößten einen lückenhaftes Gebiss.
    Es war ihm in jenen entscheidenden Tagen nach der Katastrophe nicht gelungen, die Vitamin-C-Vorräte zu retten. Um die Weihnachtszeit des Katastrophenjahres musste es gewesen sein, dass ihm der letzten Schneidezahn aus dem entzündeten Zahnfleisch gefallen war. Vier oder fünf einsame Backenzähne wackelten bedenklich.
    Die Hände des Mannes schwebten zur Tastatur. Die Einträge vom 10. Februar mochten von irrationaler Hoffnung geprägt sein, aber es gab nichts zu verändern. Wohl aber an den stichwortartigen Texten unter den Daten vom 11. bis zum 14. Februar 2012.
     
    Rettungsfähre X-38 mit sieben Mann startklar, hieß es da zum Beispiel im Eintrag vom 11. Februar. Vier freiwillige, drei durch das Los bestimmte Besatzungsmitglieder, um die Kapazität von X-38 auszuschöpfen. Aus freien Stücken an Bord der Station bleiben: Captain Marsha Hunt, Dr. Hagen Winter, Dr. Sergej Jarnyszin, Dr. Louis Taurentbeque und der Kommandant der ISS, Oberstleutnant Anatol Ragojew…
     
    Das war nicht einmal die halbe Wahrheit. Genausowenig wie die Notizen vom 12. und 13. Februar 2012:
     
    Meuterei an Bord! Rädelsführer: Com- mander Sean Bernstein. Schießerei im Startmodul von X-38. Dr. Taro Yakumori wird von einem Querschläger getroffen.
    Dr. Oshi Domoto nimmt seinen Platz in der Fähre ein. Oberstleutnant Ragojew setzt sich gegen die Meuterer durch.
    Oberstleutnant Ragojew bei Reparaturarbeiten an der Rampenhydraulik von X-38 tödlich verunglückt. Captain Marsha Hunt übernimmt das Kommando an Bord der ISS.
    Eine zunächst nicht zu identifizierende Person verlässt ohne entsprechenden Befehl die Rettungsfähre und verbarrikadiert sich im europäischen Labormodul. Dr. Sergej Jarnyszin nimmt ihren Platz ein.
    X-38 startet um 21:34:06 Uhr CT mit sechs Mann Besatzung.
    X-38 dringt um 02:01:28 Uhr CT in die Erdatmosphäre ein. Eine exakte geographische Bestimmung des Landeplatzes ist wegen der Sichtverhältnisse unmöglich. Nach Berechnungen des zentralen Navigations- Rechners geht die Rettungsfähre über dem indischen Ozean nieder. Entweder über Nordwest-Australien oder den indonesischen Inseln…
     
    Die Einträge über Start, Flug und Landung der X-38 stimmten weitgehend.
    Der Mann veränderte sie nicht. Die telegrammartigen Texte davor aber löschte er bis auf nackte Fakten wie Daten und Zeitangaben. Er wollte Frieden mit sich machen, bevor er starb. Nur die Wahrheit, so glaubte er, würde ihn mit sich selbst versöhnen. Also schrieb er die Wahrheit:
     
    11. Februar 2012 Wir losten mit kleinen Notizzetteln. Wer einen Zettel mit der Aufschrift »X-38« zog, musste fliegen. General Jordan, Dr.
    Rubowitz, Bernstein und die Hunt wollten freiwillig ins globale Katastrophengebiet zurückkehren. Und die anderen - Colonel McRice, Dr. Hong, Dr. Domoto, Dr. Yakumori und Dr. Jarnyszin weigerten sich, ein Los zu ziehen.
    Winter, Ragojew und ich losten nicht mit. Wir hatten ja die Waffe. Es fällt mir nicht leicht zu gestehen, aber sie war in diesen schweren Tagen unsere Aufenthaltsgenehmigung für die Raumstation. Wer auch immer diese Aufzeichnungen einst lesen wird - man möge mir meine Motive zugute halten: Ich wollte die Menschheit retten.
    Mir blieb nichts anderes übrig, als die Lose an Stelle der Kandidaten zu ziehen.
    Es traf Yakumori, McRice und Hong. Dass Captain Hunt nicht mitfliegen würde, war zu diesem Zeitpunkt schon beschlossene Sache. Genau wie Ragojews Tod übrigens. Für die Keimzelle einer neuen Menschheit war eine Frau unverzichtbar.
    Aber mehr als drei Personen konnten nach meinen Berechnungen über längere Zeit auf der Mondstation nicht überleben, auch wenn wir alle Vorräte von der ISS mitnahmen.
    Schade, dass die Hunt in Bernstein verliebt war. Vielleicht wäre alles anders gekommen, wenn wir zusammengearbeitet hätten. Ich kannte das Forschungskonzept der NASA, und ich wusste, dass Captain Hunt schwanger war. Ihr Kind war auf der Station gezeugt worden. Ein wichtiges Experiment für die Erforschung der Lebensmöglichkeiten im All.
    12. Februar 2012 Die drei Ausgelosten weigerten sich, die Luftschleuse zur Rettungsfähre zu betreten. Obwohl sie berauscht
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