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051 - Im Orbit

051 - Im Orbit

Titel: 051 - Im Orbit
Autoren: Jo Zybell
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Abschussmoduls eingenommen.
    8:45:00 Uhr CT: Meldung aus dem Zarya-Modul - Oberstleutnant Anatol Ragojew und Dr. Sergej Jarnyszin sind bereit.
    8:55:37 Uhr CT: Meldung aus dem Labormodul Columbia - Dr. Taro Yakumori, Dr. Oshi Domoto und Dr. Hagen Winter auf Beobachtungsposten.
    8:55:37 Uhr CT: Besatzung im Kommandostand vollzählig. Anwesend: Captain Marsha Hunt, Dr. Ian Hong, Dr. Alexander Rubowitz, Commander Sean Bernstein und Dr. Louis Taurentbeque…
     
    Wie oft schon hatte er die Aufzeichnungen vom 8. Februar letzten Jahres gelesen? Gelesen und hundertfach ergänzt und verändert. Immer fielen ihm neue Details ein, wenn er sie las. Nie schienen ihm die Worte und Bilder auszureichen, um das Unsagbare wenigstens annähernd zu umschreiben:
    »Christopher-Floyds« Kollision mit der Erde und die Tage und Wochen, die ihm folgten.
    Der Anfang las sich wie ein militärischer Bericht, trocken und nur die Fakten auflistend:
     
    9:09:55 Uhr CT: Acht MX-3-Raketen mit je sechs Nuklearsprengköpfen erfolgreich gestartet.
    9:10:14 Uhr CT: Alle acht Trägerraketen auf programmiertem Kurs. Erreichen des Zielobjektes voraussichtlich
    9:29:46 Uhr CT.
    9:29:37 Uhr CT: Zielobjekt von acht MX-3-Raketen getroffen, 94.718 Kilometer von der Erde entfernt.
    9:30:05 Uhr CT: Extreme Gammastrahlung im Bereich des Zielobjekts.
    9:30:47 Uhr CT: Getroffenes Objekt scheint nicht zerstört worden zu sein.
    9:31:29 Uhr CT: Getroffenes Objekt konnte nicht zerstört werden. Nur kleinere Segmente wurden abgesprengt.
    9:32:08 Uhr CT: Zielobjekt nähert sich mit unverminderter Geschwindigkeit (50,12 km/sec) der Erde. Voraussichtliches Einschlagsgebiet: Mittelasien.
     
    Dann folgten ein paar Einträge, die nicht von ihm stammten. Sie schilderten die Kollision in allen Einzelheiten:
    »Christopher-Floyd«, wie er in die Atmosphäre eindringt. »Christopher- Floyd«, wie er hinter dem Horizont verschwindet. »Christopher-Floyd«, wie er über russischem Staatsgebiet in der Gegend des Baikalsees einschlägt.
    Von einer »Feuerfaust, die die Wolkendecke durchstößt und auseinander reißt« war in den Notizen die Rede, von einer »Glutkeule, die der Erde einen tödlichen Schlag versetzt hat«. Und von der Stimmung an Bord in den Tagen danach war da zu lesen, von stummer Trauer, von Apathie, vom Ausweichen der Blicke.
    O ja - der Mann konnte sich gut an jene bleiernen Tage erinnern. Und trotzdem: Nach seinem Geschmack hätte den Aufzeichnungen weniger Pathetik und mehr Sachlichkeit gut getan. Sein eigener Kommentar zum Kometeneinschlag, ein paar Tage später, las sich weniger dramatisch:
     
    10. Februar 2012, 0:32:57 Uhr CT Fast vierzig Stunden sind vergangen seit dem Einschlag. Glutkeule? Feuerfaust? Ich würde eher von einem aufgeplatzten Abszess sprechen. Sein Eiter verdunkelt die Atmosphäre von Stunde zu Stunde mehr, und die Welt darunter wird vermutlich gerade ersticken.
    Weder die Außenkameras noch der Blick aus den Sichtfenstern liefern deutliche Bilder von Landschaftsprofilen und Städten. Große Brandherde sind da und dort zu erkennen und über ihnen Rauchsäulen, die weiteren Ruß in die schon gesättigte Atmosphäre blasen.
    Vermutlich neu entstandene Vulkane und Erdbebengebiete; und Großstädte, die so hochgelegen sind, dass die Flutwelle sie nicht erreicht hat.
    Die vielen Brände haben die Temperaturen in den meisten Regionen der Welt nach oben getrieben, auch in Arktis und Antarktis. Nach unseren Berechnungen wird sich das schnell wieder ändern.
    Die Messungen weisen für zahlreiche Orte erhöhte Gammastrahlung aus. Der Vergleich mit den Infrastruktur-Karten ergibt eine Übereinstimmung der meisten dieser radioaktiv strahlenden Orte mit Standorten von Atomreaktoren und Abschussbasen nuklearer Sprengköpfe.
    Aber deswegen von einem »tödlichen Schlag« gegen die Erde sprechen? Das scheint mir eine unangemessen gattungs- zentrische Formulierung. Sagen wir so: Die Erde liegt schwer verletzt im Wundfieber, aber sie wird wieder genesen. Die Menschheit mag der Schlag tödlich getroffen haben, nicht die Erde. Sie hat uns überlebt, sie wird auch
    »Christopher-Floyd« überstehen.
    Und was eigentlich wäre wirklich neu und erschütternd daran, wenn unter diesem Vorhang aus Ruß, Staub und Wasserdampf eine Gattung ausstirbt?
    Auch die Dinosaurier sind einst auf diese Weise untergegangen. Warum also nicht auch die Menschen, die zudem seit mehr als einem Jahrhundert intensiv an ihrem Untergang arbeiten ?
    Und dennoch: Wir hier oben leben noch.
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