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0486 - Der unheimliche Shaolin

0486 - Der unheimliche Shaolin

Titel: 0486 - Der unheimliche Shaolin
Autoren: Jason Dark
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saßen sich im Tempelraum gegenüber, murmelten die alten Gebete, ließen die Mühlen dabei kreisen und schwenkten ihre Weihrauchkannen, so daß der süßliche Duft sich wie ein Nebel in der breiten und hohen Halle verteilen konnte.
    Mit dem Toten auf den Armen schritt Lin Cho durch den Mittelgang. Über den Köpfen der Mönche brannten die Fackeln. Ihre Gesichter waren nur undeutlich zu erkennen.
    Doch die Gebete verstummten.
    Nacheinander versiegten die Stimmen, als Lin Cho mit kaum hörbaren Schritten auf den Altar am Ende der Tempelhalle zuschritt, wo ein gewaltiger Steinbuddha auf seinen gekreuzten Beinen saß, den Kopf leicht gesenkt hielt und den Betenden betrachtete.
    Auch das Rasseln der Mühlen klang aus. Die Mönche hielten den Atem an. Ihre Gesichter glichen starren Masken. Ihnen war nicht anzusehen, was sie innerlich fühlten. Ihre Lippen lagen aufeinander und bildeten schmale Striche.
    Lin Cho ging vor, bis er die erste Altarstufe erreicht hatte. Zur Statue hin verengten sie sich. An ihren Rändern standen jeweils Schalen mit geweihtem Öl, das die Mönche angezündet hatten. Über den Oberflächen tanzten blaßblaue Flammen.
    Der alte Shaolin verbeugte sich vor dem gewaltigen Buddha und legte erst dann den Toten ab. Für eine Weile blieb er in einer demutsvollen Haltung, bevor er sich auf die Knie fallen ließ und die Oberschenkel zu den Seiten hin wegstreckte.
    So blieb er sitzen…
    Zeit verrann.
    Kein Wort unterbrach die Stille. Hin und wieder blähte sich das Feuer einer Fackel kurz auf und löste einen dicken Pechtropfen, der mit einem klatschenden Laut zu Boden fiel.
    Der Shaolin drückte plötzlich seinen Körper hoch und breitete die Arme aus, als wollte er das umfassen, was sich vor ihm befand. Seine Augen richtete er gegen das breite Gesicht des Buddha und begann zu beten. Die Gebete dauerten Stunden. Als draußen der Tag über die Nacht siegte, betete Lin Cho noch immer, und auch die Mönche waren in tiefer Meditation und Andacht versunken.
    Zeit existierte für sie nicht. Wichtiger waren der Glaube und der Erfolg.
    Dann ließ Lin Cho seine Arme sinken. Er stemmte die Hände gegen den Boden, verneigte sich noch einmal, stand auf und drehte sich um. Es war ihm nicht anzumerken, daß er stundenlang wie in Trance vor dem Altar gesessen hätte. Dieser Mann war eben etwas Besonderes.
    Er begann zu sprechen, berichtete von den Kämpfen in den Tälern und den grausamen Barbaren, die keine Gnade kannten. Er erzählte ihnen auch von ihren Absichten, das Kloster zu stürmen und die Menschen zu töten. »Und ich«, klagte er sich selbst an, »habe geschworen, keine Waffe mehr anzurühren. Aber das werde ich nicht mehr hinnehmen. Ich werde euch gleich verlassen und in die Räume des Wissens gehen, wo ich zu dem beten werde, dem ich einst den Schwur gab. Nur er kann mich erlösen, nur er hat die Macht, mich davon zu befreien, und ich wünsche mir, daß der Drachengott mir gnädig gestimmt sein wird.«
    Niemand antwortete ihm, keiner wagte zu widersprechen. Der Shaolin hatte sich entschieden, er wußte genau, ob es ein Fehler war oder nicht. Kein anderer durfte ihm da hineinreden.
    Und so ging er.
    Ausdruckslos waren die Blicke der Mönche. Das Schweigen begleitete den einsamen Mann, dessen weißer Bart, um Oberlippe, Mund und Kinn herumwuchs wie frisch gefallener Schnee.
    Lin Cho durchschritt, ohne ein weiteres Wort zu sagen, die Tempelhalle, und erst als sich die Tür hinter ihm geschlossen hatte, begannen die Mönche wieder mit ihren Gebeten und dem Rattern der sie begleitenden Mühlen. Jetzt beteten sie für den, der in ihrem Namen gestorben war und reglos vor den Stufen des, Altars lag…
    ***
    Der Berg schluckte Mensch und Gestein wie ein alles vernichtendes, gewaltiges Maul.
    Nur wenige hatten die Höhlen und Kavernen unterhalb des Klosters je betreten, denn diese Welt war eine andere, ein Hort der Drachen, der Dämonen, ein Ort, wo das Böse regierte oder regiert hatte, denn es war von dem Guten besiegt worden, als die Mönche ihr Kloster errichteten.
    Besiegt, aber nicht vernichtet. Es verhielt sich neutral, die Macht des Drachengottes blieb in den Höhlen begrenzt. Wer dort hineintrat, spürte etwas von dem Wissen einer uralten Zeit, als noch die Drachen die Geschicke dieses Teils der Welt bestimmt hatten.
    Lin Cho schritt die Stufen einer in den Felsen gehauenen, geländerlosen Treppe hinab. Es war ein gefährlicher Weg. Wer ihn ging, mußte das Licht mitbringen, weil der Drachengott in einem
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