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0475 - Meine Totenbraut

0475 - Meine Totenbraut

Titel: 0475 - Meine Totenbraut
Autoren: Jason Dark
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Betenden vor, als würde die Figur anfangen zu leben.
    Wieder hob die junge Novizin den Kopf. Ihre blassen Hände lagen auf der schmalen Betbank, die Finger waren zum Gebet geformt, die dunkle Nonnentracht hüllte die Gestalt ein wie ein großer Mantel. Aus dem Ausschnitt der schmalen Haube schaute ein blasses Gesicht mit einer fast durchsichtig wirkenden Haut.
    Es war das Antlitz einer jungen Frau. Rein, mit sehr schön geschwungenen Lippen und einem schmalen Kinn darunter. Ein wenig standen die Wangenknochen vor, die Pupillen waren ebenso dunkel wie die Haare, die sogar als Fransen in die Stirn eines von Liebreiz und Anmut gezeichneten Gesichts fielen.
    Wieder bewegte die junge Novizin die Lippen. Eine flüsternde Frage drang aus ihrem Mund. »Gib mir Rat, Heilige Mutter Gottes. Ich weiß nicht, für wen und für welches Leben ich mich entscheiden soll? Bleibe ich hier, muß ich dir dienen und habe meine innerliche Freiheit. Gehe ich fort, bekomme ich zwar die äußerliche Freiheit, aber ich werde an einen Mann gebunden sein, dem ich dienen muß, wie es die alten Regeln vorschreiben, bis daß der Tod uns scheidet…«
    Auch das letzte Wort zerfloß, so daß in die Kapelle wieder diese schon feierliche Stille einkehrte.
    Die Frau horchte in sich hinein, als würde sie auf eine Antwort der Mutter Gottes warten.
    Die aber schwieg.
    Etwas störte die Betende. Es war ein schleifendes Geräusch. Sie kannte den Laut. Er entstand immer dann, wenn jemand die Kapellentür öffnete und den Raum betrat.
    Durch die kleine Kirche wehte ein Luftzug und erreichte auch die beiden Kerzen, wo die Flammen sich bewegten und diesmal heftigere Muster über die Gestalt der Mutter Gottes warfen.
    Die Novizin drehte sich nicht um. Sie lauschte nur auf den Klang der Schritte, die ihr bekannt waren und die sich ihr näherten. Neben ihr blieb die Person stehen.
    Die Betende schielte ein wenig zur Seite und sah den Schatten auf dem Boden. Einen Moment später spürte sie die Berührung an der Schulter, die sie versteifen ließ.
    »Wie geht es dir, Margaretha?« vernahm sie die besorgte Stimme der Äbtissin.
    »Ich habe noch keine Antwort erhalten, Ehrwürdige Mutter«, flüsterte Margaretha.
    Die Äbtissin, 40 Jahre älter, atmete schwer aus, als sie um die schmale Betbank herumging, um diese von der anderen Seite wieder zu betreten. Sie kniete sich neben die Novizin und faltete ebenfalls ihre Hände, aber nicht zum Gebet, denn ein Gespräch war in diesem Moment wichtiger.
    »Wie tief ist deine Liebe, meine Tochter?«
    »Sehr tief.«
    »Zu ihr und zu ihm?«
    »Ja, Ehrwürdige Mutter«, drang die flüsternde Antwort in den leeren Raum vor der Betbank. »Ich habe mich noch nicht entscheiden können.«
    Margaretha vernahm das leise Lachen. Es besaß auch einen verständnisvollen Klang. »Damit hast du dich bereits entschieden, mein Kind, glaube es mir.«
    Margaretha war überrascht. Sie schob den Stoff der Haube ein wenig zur Seite, damit sie in das Gesicht der Äbtissin sehen konnte. Es war ein gütiges Gesicht. Man sah ihm an, daß diese Frau für viele Dinge Verständnis hatte und nicht nur die strengen Regeln des Klosters kannte. »Wie soll ich das verstehen, Ehrwürdige Mutter?«
    »Es ist sehr einfach. Allein deine Zweifel lassen mich wissen, daß du hier nicht so gut aufgehoben bist wie draußen, wo ein Mann auf dich wartet, der dir irgendwann einmal Kinder schenken wird. Wenn du bei uns bleibst, werden die Zweifel nie aufhören. Du wirst oft genug daran denken und dich fragen, ob du auch richtig gehandelt hast. Das ist nicht gut, es würde unsere Aufgabe stören, deshalb ist es besser, wenn du uns verläßt. Schreite hinaus in das Leben und gehe deinen Weg. Du brauchst keine Nacht länger zu bleiben, und die Heilige Jungfrau Maria wird deinen Entschluß verstehen. Du wirst ihr nie so dienen können, wie wir es uns vorgestellt haben.«
    »Ist das wirklich Eure Meinung, Ehrwürdige Mutter?«
    »So denke ich, mein Kind.«
    Margaretha nickte. Dabei preßte sie ihre Hände vor das Gesicht. Auch die Äbtissin sollte ihre Tränen nicht sehen. Es waren Tränen des Abschieds. Sie würde noch in dieser Nacht die Geborgenheit des Klosters verlassen und hineintreten in das feindliche Leben, wie es oft genannt wurde.
    Die junge Novizin spürte die Hand der Äbtissin auf ihrem Rücken. »Jeder Mensch braucht eine Zuflucht, meine Tochter, auch du. Deshalb verspreche ich dir, daß du stets in dieses Kloster zurückkehren kannst, wenn du draußen einmal
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