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0400 - Jenseits-Melodie

0400 - Jenseits-Melodie

Titel: 0400 - Jenseits-Melodie
Autoren: Jason Dark
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schon. Du mußt produzieren, glaube es mir. Immer am Ball bleiben. Die Strömungen sind günstig, die Trends stehen auf Sieg.«
    »Mal sehen.«
    »Kann er denn spielen?« fragte die Kleine mit den violett geschminkten Lippen, die neben Rille saß.
    »Das ist ein Meister.«
    »Dann spiel uns doch etwas vor.«
    Und das genau wollte Hanco nicht. Er schüttelte den Kopf. »Nein, ich bin nicht in Form.«
    »Wieso nicht?«
    »Laß es.« Hanco trank seinen Kaffee, aber Rille hatte einmal Blut geleckt. Er wollte auch, daß Hanco einiges von seinem Können zum Besten gab.
    »Mensch, du hast hier viele Fans. Die wollen alle hören, was du kannst. Ich würde sie an deiner Stelle nicht enttäuschen. Es kostet dich ja nur ein paar Minuten.« Er faßte nach Hancos schlanker Hand. »Mach keinen Ärger, los, spiel!«
    Der Künstler schaute hoch. »Aber nur ein Lied.«
    »Einverstanden. Und welches?«
    Hanco überlegte. Es gab zahlreiche Lieblingslieder, die sich auf der LP befanden, da fiel ihm die Auswahl schwer. Auf dem knarrenden Stuhl mit der gebogenen Lehne ließ er sich zurücksinken und meinte: »Sag du es doch, was ich spielen soll.«
    »Das Lied aus der anderen Welt.«
    »Du meinst Memories?«
    »Ja.«
    »Ja, das gefällt mir.« Hanco erhob sich und schob seinen Stuhl zurück, damit er sich aus der Lücke zwischen Stuhl und Tisch klemmen konnte. Bis zum kleinen Bühnenpodest hatte er es nicht weit. Zahlreiche Augenpaare verfolgten ihn auf seinem Weg, wie er die beiden breiten Stufen hochging und vor dem Flügel seinen Platz fand. In der Nähe stand ein Mikro. Hanco sprach hinein und hörte seine eigene Stimme aus den Lautsprechern dröhnen.
    »Hallo Freunde, ich bitte einen Moment um Gehör.«
    Er mußte den Satz noch zweimal wiederholen, bevor sich die Gesichter ihm zudrehten.
    Einige Gäste klatschten schon und wurden schnell ruhig, als der Pianist die nächsten Worte sprach. »Es ist so, liebe Freunde, aus meiner LP möchte ich euch eine kleine Melodie vorspielen, die in dieser Stadt vor einigen Hundert Jahren geboren wurde, dann leider verschwand und jetzt wieder aufgetaucht ist. Eine Erinnerung, komponiert von einem großen Meister, der viele Ehren verdient hätte, aber noch wenig bekommen hat. Memories…«
    Es gab Beifall. Danach kehrte Ruhe ein, so daß Hanco sich konzentrieren konnte. Er hatte den Deckel hochgeklappt. Die Klaviatur lag vor ihm. Schwarze und weiße Tasten, ein gewohntes Bild für ihn, und er hob beide Hände an.
    Genau in diesem Augenblick mußte er wieder an die Warnung der Jüdin Judith denken. Die große Wolke, die angeblich über ihm lag und ihn zu erdrücken suchte.
    Fast unwillig schüttelte der Künstler den Kopf. Auf keinen Fall wollte er sich so fertigmachen lassen, räusperte sich noch einmal die Kehle frei und begann zu spielen.
    Seine Finger befanden sich im ständigen Training und waren geschmeidig genug, so daß er auch ohne Vorgymnastik spielen konnte.
    Und er tat es.
    Schon nach den ersten Klängen veränderte er sich. Sein Gesichtsausdruck wurde ein anderer. Er hörte die Klänge und hatte das Gefühl, Flügel zu bekommen. Wie selbstvergessen glitten seine Finger über die Tasten, berührten sie, streichelten sie, umschmeichelten auch und ließen so eine weiche Melodie erklingen.
    Im Café wurde es so still, daß sogar die Geräusche von draußen durch die offene Tür drangen. Keiner trank mehr, niemand sprach, man lauschte den Klängen und war hingerissen. So wie auch der Pianist selbst, der sich von den Melodien wegtragen ließ und das Gefühl bekam, in eine andere Welt schauen zu können.
    Er saß auf einer Insel. Die Menschen, die das Podest umstanden, sah er nicht mehr. Sie verschwammen zu einer konturlosen Masse, die aber sehr genau wußte, was sie hier präsentiert bekam, denn ein jeder war von den Klängen begeistert.
    Auch Hanco.
    Er fühlte sich über allem schwebend und glaubte, während er spielte, die Landschaft, von der die kleine Melodie erzählte, vor sich zu sehen. Noch nie hatte er so gefühlt, und es kam ihm sehr seltsam vor, war ihm jedoch nicht unangenehm.
    Bis er die Stimme hörte.
    Von den Zuschauern hatte niemand gesprochen. Die Stimme war woanders hergekommen, aus einer Welt, die keine Grenzen kannte und auch das Bewußtsein eines Menschen durchdrang.
    »Du spielst meine Melodie, Fremder…«
    Hanco erwiderte nichts. Er hatte die Stimme eingeordnet in das Fach Täuschungen, aber sie ließ sich nicht abschütteln.
    »Meine Komposition…«
    Erst jetzt merkte
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