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04 - Spuren der Vergangenheit

04 - Spuren der Vergangenheit

Titel: 04 - Spuren der Vergangenheit
Autoren: Manfred Weinland
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Außer seiner ertastbaren Form schien das unsichtbare Ding keine der für Gegenstände üblichen Attribute zu besitzen. Und wenn man es fallen ließ, sank es langsamer als eine Seifenblase zu Boden.
    Ich weiß nicht mal, ob es schädliche Strahlung emittiert, ging es Tom Ericson durch den Kopf. Es könnte Radioaktivität freisetzen, ohne dass ich es bislang bemerkt habe.
    Der Gedanke beunruhigte ihn, versetzte ihn aber nicht in Panik. Es war lediglich eine von vielen Möglichkeiten.
    Schließlich deponierte er das Artefakt wieder in der Außentasche seiner Jacke und zog den Reißverschluss zu. Das Dunkelfeld durchdrang den Stoff nicht – glücklicherweise, denn in einem schwarzen Nichts herumzulaufen, aus dem gerade noch Kopf, Schultern, Unterschenkel und Füße hervorschauten, wäre doch etwas auffällig gewesen. Die Jacke hing um den Stuhl, auf dem er saß, und der Stuhl stand vor dem kleinen Tisch, der neben Bett und winzigem Kleiderschrank das einzige Mobiliar des Zimmers bildete.
    Ein türloser schmaler Durchgang führte in eine Nische, in der es ein Waschbecken sowie eine Kloschüssel aus Porzellan ohne Brille gab. Die Rohrleitungen hörten sich an wie ein uraltes Mofa mit Vergaserproblemen.
    Während Tom sich der Kladde widmete, die aufgeschlagen auf dem Tischchen lag, hörte er, wie die Tür des Nachbarzimmers zuschlug und sich Schritte über den Gang entfernten.
    Maria Luisa.
    Er hoffte, dass sie nun losging, um die Übersetzungshilfen zu besorgen. Sie zur Eile anzuhalten, wäre falsch gewesen; das hätte leicht den gegenteiligen Effekt provozieren oder ihren Vater auf den Plan rufen können. So geduldete sich Tom also. Und blätterte, um sich die Zeit zu vertreiben, schon einmal durch die Seiten, zählte sie.
    Es waren insgesamt hundertvier, eng von Hand beschrieben und gefolgt von einigen leeren Blättern. Die Kladde war nach Tirados Auskunft in die Hände seines verstorbenen Vaters gelangt, lange nachdem dieser in Mexiko das lichtschluckende Artefakt von einem Grabräuber erworben hatte. Trotzdem sollte sie mit dem Fund in direktem Zusammenhang stehen und – Tom musste über die Formulierung schmunzeln – Licht in das Mysterium bringen. Leider wusste auch Víctor Javier Tirado nichts Näheres, denn sein Vater hatte die Übersetzung gleich nach dem Lesen vernichtet und ihm das Versprechen abgenommen, den Text auf alle Zeit ruhen zu lassen. Angeblich, um die Erde vor ihrem Untergang zu bewahren.
    Nicht nur diese Aussage schürte die Neugier in Tom.
    Insgesamt hatte die Kladde die Zeiten ganz gut überstanden. Manche Seiten waren fleckig und wiesen Feuchtigkeitsschäden auf, hier und da fehlte auch eine Ecke. Aber zu Toms Genugtuung gab es kaum eine Stelle, die gar nicht mehr lesbar gewesen wäre.
    Tom schob den Stuhl zurück, stand auf und trat an das eine von zwei Fenstern, die in den Hinterhof zeigten.
    Das Último Refugio war umzingelt von anderen Häusern, deren gute – nicht einmal beste – Tage lange vorbei waren. Eine Weile sah er spielenden Kindern zu, die das Elend, in dem sie lebten, nicht bewusst wahrnahmen.
    Dann wandte er sich wieder der geheimnisvollen Kladde zu.
    4.
    Vergangenheit
    Der Kriegszug gegen die Tutul Xiu lag noch nicht lange zurück und hatte Gefangene nach Ah Kin Pech gebracht. Ihre Opferung erfolgte in regelmäßigen Abständen, und Oxlaj war es, der auch die für den nächsten Tag anstehende Zeremonie leiten würde.
    Der Priester hatte sich nach der Beseitigung der Überreste des fremdartigen Wesens in die Abgeschiedenheit seines Hauses am Fuße des zentralen Tempels zurückgezogen und überlegte, wie viele zuckende Herzen er während seiner Amtszeit aus dampfenden Körpern herausgeschnitten haben mochte.
    Es waren viele. Sehr viele.
    Aber nun hatte Ah Ahaual alles infrage gestellt.
    »Mein Vater meint es nicht so. Ich werde noch einmal mit ihm reden und beteuern, dass du dir den Armreif nicht selbst umgelegt hast. Er wird darüber nachdenken und zu dem Schluss kommen, dass es viel zu riskant ist, selbst so ein Zauberding zu tragen.«
    Die Worte Ts’onots, der auf seinem Lager kauerte und Dämpfe inhalierte, die aus einem tönernen Topf emporstiegen, zogen an Oxlaj vorbei wie ein flüchtiger Windhauch. Er war nicht in der Lage, sich darauf zu konzentrieren. Immer noch kreiste ein Großteil seiner Gedanken um den Reif, der sein linkes Handgelenk in einer Weise umschloss, als wäre er ein Bestandteil des Körpers.
    Was ihn zunehmend beunruhigte.
    Die Vorstellung, dass
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