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04 - Mein ist die Rache

04 - Mein ist die Rache

Titel: 04 - Mein ist die Rache
Autoren: Elizabeth George
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anders zu überlegen und senkte sie wieder. »Das ist wirklich eine Überraschung. Ich erwartete ... das ist wirklich ... du bist ... Was red' ich da für Unsinn! Bitte, komm doch herein.«
    Das enge kleine Ein-Zimmer-Apartment verdiente kaum die Bezeichnung Wohnung. Doch es war hübsch eingerichtet. Die Wände waren hellgrün gestrichen, frisch wie ein Frühlingshauch. An einer von ihnen stand eine Bettcouch aus Rattan mit einer bunten Decke und vielen Kissen, an einer anderen hing eine Auswahl von Deborahs Fotografien, Aufnahmen, die St. James nie gesehen hatte, die sie wohl aus Amerika mitgebracht hatte. Aus der Stereoanlage unter dem Fenster klang gedämpfte Musik. Debussy. L'Après-midi d'un Faune.
    St. James drehte sich um, um eine Bemerkung über das Zimmer zu machen - wie anders es sei als ihr kunterbuntes Jungmädchenzimmer zu Hause -, und bemerkte eine kleine Nische links von der Tür: die Küche mit einem kleinen Tisch, der für zwei zum Tee gedeckt war.
    Natürlich, er hätte es sofort merken müssen, als er gekommen war. Gewöhnlich trug sie nicht am hellichten Nachmittag ein zartes Sommerkleid.
    »Du erwartest Besuch. Entschuldige. Ich hätte vorher anrufen sollen.«
    »Ich hab' noch gar keinen Anschluß. Es macht doch nichts. Wirklich. Wie findest du die Wohnung? Gefällt sie dir?«
    Sie entsprach genau ihrem Wesen: ein ruhiger, von ihrer Weiblichkeit geprägter Raum, in dem ein Mann sich nichts anderes wünschen würde, als an ihrer Seite zu liegen und den Tag zu vergessen, um die Freuden der Liebe zu genießen. Aber das war wohl kaum die Antwort, die Deborah von ihm wünschte. Um ihr keine geben zu müssen, ging er auf die Fotografien zu.
    Mehr als ein Dutzend hingen da, aber sie waren so gruppiert, daß sein Blick sofort auf das Schwarz-Weiß-Porträt eines Mannes gezogen wurde, der mit dem Rücken zur Kamera stand, den Kopf im Profil, Haar und Haut - beide von Nässe glänzend - in starkem Kontrast zum ebenholzschwarzen Hintergrund.
    »Tommy ist sehr fotogen.«
    Deborah trat zu ihm. »Ja, nicht wahr? Ich habe versucht, seine Muskulatur herauszuarbeiten, aber ich bin mir nicht sicher, ob es gelungen ist. Die Beleuchtung stimmt irgendwie nicht. Ich weiß auch nicht. Einmal gefällt's mir, und dann find ich es wieder so plump wie ein Foto aus dem Verbrecheralbum.«
    St. James lächelte. »Du bist immer noch so streng mit dir, Deborah.«
    »Ja, wahrscheinlich. Nie zufrieden. Das ist mein Schicksal.«
    »Ich fand eine Aufnahme gut. Dein Vater auch. Wir holten Helen zur weiteren Begutachtung. Und dann hast du deinen Erfolg jedesmal damit gefeiert, daß du die Aufnahme wegwarfst und uns alle drei zu hoffnungslosen Banausen erklärtest.«
    Sie lachte. »Wenigstens hab' ich nicht um Komplimente gebuhlt.«
    »Nein. Das hast du nie getan.« Er wandte sich wieder der Wand zu, und die unbefangene Heiterkeit des kurzen Wortwechsels verflüchtigte sich.
    Neben dem Schwarz-Weiß-Porträt hing eine Studie ganz anderer Art. Auch sie zeigte Lynley, nackt in einem alten schmiedeeisernen Bett, das zerknitterte Bettzeug über dem Unterkörper. Ein Bein angezogen, den Ellbogen aufs Knie gestützt, blickte er zu einem Fenster, vor dem Deborah stand, den Rücken zur Kamera, das Sonnenlicht leuchtend auf der Rundung ihrer rechten Hüfte. Gelbe Vorhänge bauschten sich wie Schaum, zweifellos, um das Selbstauslöserkabel zu verstecken, das ihr gestattet hatte, diese Aufnahme zu machen. Das Bild wirkte völlig spontan, als hätten sie beim Erwachen an Lynleys Seite das Spiel des Lichts, der Kontrast von Vorhängen und Morgenhimmel, zu der Aufnahme gereizt.
    St. James starrte das Bild an und versuchte so zu tun, als könne er es unter rein ästhetischen Gesichtspunkten bewerten, und wußte doch die ganze Zeit, daß er in ihm nur die Bestätigung von Cotters Verdacht sehen konnte. Er hatte trotz der nächtlichen Szene, die er beobachtet hatte, immer noch an einem dünnen Fädchen Hoffnung festgehalten. Es zerriß vor seinen Augen. Er sah Deborah an.
    Zwei rote Flecken brannten auf ihren Wangen.
    »Was bin ich für eine schlechte Gastgeberin! Möchtest du etwas trinken? Einen Gin Tonic vielleicht? Oder Whisky? Und Tee hab' ich auch da. Tee hab' ich massenhaft. Ich wollte gerade ...«
    »Nein. Nichts. Du erwartest Besuch. Ich bleibe nicht lang.«
    »Bleib doch zum Tee. Ich stell' noch ein Gedeck hin.« Sie ging in die winzige Küche.
    »Nein, Deborah, bitte«, sagte St. James hastig, der sich die Szene lebhaft vorstellen konnte:
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