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04 - Mein ist die Rache

04 - Mein ist die Rache

Titel: 04 - Mein ist die Rache
Autoren: Elizabeth George
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Beins, der schwere Aufprall des kranken. Die Hand auf dem Geländer, weiß vor Anspannung. Das stoßweise Atmen bei dem Bemühen, das Gleichgewicht zu halten. Und all diese Anstrengung mit einem Gesicht, das nichts verriet.
    Sie wartete, bis sie seine Zimmertür eine Etage tiefer hörte, ehe sie zum Fenster ging.
    Drei Jahre, dachte sie. Er war noch schmäler geworden, hager und krank sah er aus, und die scharfen Gesichtszüge waren gezeichnet von der Geschichte seines Leidens. Das Haar immer zu lang. Sie erinnerte sich an das seidige Gefühl, wenn es durch ihre Finger glitt. Der grüblerische Blick, der zu ihr sprach, auch wenn Simon selbst nichts sagte. Der Mund, der zärtlich den ihren berührte. Sensible Hände, Künstlerhände, die die Konturen ihres Gesichts nachzeichneten, die sie in seine Arme zogen. »Nein. Nie wieder.«
    Deborah flüsterte die Worte ruhig in den aufziehenden Morgen. Sie wandte sich vom Fenster ab und legte sich in Kleidern auf ihr Bett.
    Denk nicht daran, sagte sie sich. Denk an gar nichts.

2
    Immer war es derselbe elende Traum, eine Wanderung von Buckbarrow zum Greendale Tarn in einem Regen, so erfrischend und rein, daß er nur Einbildung sein konnte. Rauhe Felsen erklomm er, rannte ausgelassen über das weite Hochmoor, schlitterte wie der Wind den Hang hinunter, um lachend und außer Atem an dem kleinen Bergsee zu halten. Dieser glückliche Überschwang, diese kraftvolle Bewegung des ganzen Körpers, das Pulsen des Bluts in den Gliedern - er spürte es alles, fühlte es selbst im Schlaf.
    Und dann das Erwachen, die niederschmetternde Rückkehr in die Realität. Wenn man dalag und zur Decke hinaufstarrte und Trostlosigkeit in Gleichgültigkeit abzumildern wünschte. Aber niemals fähig war, den Schmerz ganz zu ignorieren. Die Tür zu seinem Schlafzimmer wurde geöffnet. Cotter kam mit dem Morgentee. Er stellte das Tablett auf den Nachttisch und warf St. James einen verstohlenen Blick zu, ehe er die Vorhänge aufzog.
    Das Morgenlicht wirkte wie ein Stromschlag, der ihm direkt ins Gehirn fuhr. St. James zuckte zusammen.
    »Ich hole Ihnen Ihre Medizin«, sagte Cotter. Er kam ans Bett, um St. James Tee einzuschenken, ehe er im Badezimmer nebenan verschwand.
    Allein, zog St. James sich hoch, bis er aufrecht im Bett saß. Jedes Geräusch schien in seinem dumpf schmerzenden Schädel ungeheuer verstärkt zu werden. Das Klappern der Tür des Apothekerschränkchens war ein Gewehrschuß, das Rauschen des Wassers das Donnern einer Lokomotive.
    Cotter kehrte mit einem Fläschchen in der Hand zurück.
    »So.« Er reichte St. James zwei Tabletten und wartete schweigend, bis dieser sie geschluckt hatte. Dann fragte er wie nebenbei: »Haben Sie Deb gestern abend noch gesehen?«
    Als sei ihm die Antwort im Grunde gar nicht wichtig, ging Cotter wieder ins Badezimmer, um, wie St. James wußte, die Temperatur des einlaufenden Badewassers zu prüfen. Es war eine völlig unnötige Aufmerksamkeit. Indem er das Herr-und-Diener-Spiel spielte, versuchte er Desinteresse vorzutäuschen.
    St. James gab überreichlich Zucker in seinen Tee und trank. Dann lehnte er sich in die Kissen zurück und wartete darauf, daß die Tabletten ihre Wirkung tun würden.
    Cotter erschien wieder an der Badezimmertür.
    »Ja, ich habe sie gesehen.«
    »Ziemlich verändert, nicht wahr?«
    »Das war zu erwarten. Sie war lange weg.« St. James gab noch einmal Zucker in seine Tasse. Er zwang sich, Cotter in die Augen zu sehen. Der entschlossene Ausdruck auf Cotters Gesicht verriet ihm, daß dieser nur auf eine Aufforderung wartete, ihm Enthüllungen zu machen, die er lieber nicht hören wollte.
    Cotter blieb stur an der Tür stehen. St. James gab nach.
    »Was ist denn?«
    »Lord Asherton und Deb.« Cotter strich sich das dünne Haar glatt. »Ich hab' immer gewußt, daß Deb eines Tages einen Mann finden würde, Mr. St. James, ich bin ja nicht weltfremd. Aber ich wußte doch, wie sie zu Ihnen stand - na ja, da dachte ich wahrscheinlich ...« Cotters Zutrauen schien einen Moment zu schwinden. Er zupfte ein Stäubchen von seinem Ärmel. »Ich mach' mir Sorgen um sie. Was will ein Mann wie Lord Asherton von Deb?«
    Sie heiraten, natürlich. Die Antwort stellte sich reflexartig ein, aber St. James sprach sie nicht aus, obwohl er wußte, daß er damit Cotter die ersehnte Beruhigung vermittelt hätte. Statt dessen ertappte er sich bei der Versuchung, vor Lynley zu warnen, seinen alten Freund als einen Dorian Gray zu zeichnen. Er war angewidert von
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