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04_Es ist was Faul

04_Es ist was Faul

Titel: 04_Es ist was Faul
Autoren: Jasper Fforde
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Schwester.
    »Es ist ein Wunder, dass sie noch bei uns ist.«
    »Das war eine Strafe«, erklärte ich.
    »Wie bitte?«
    »Ach, schon gut. Es wird nicht mehr lange dauern.«
    Ich trat näher ans Bett, und die alte Frau schlug die Augen
    auf.
    »Hallo, kleine Thursday!«, sagte sie und winkte mir müde.
    Sie nahm ihre Sauerstoffmaske ab, wurde von der Schwester
    ordentlich ausgeschimpft und setzte die Maske brav wieder auf.
    »Du bist gar nicht meine Gran, oder?« Ich setzte mich auf die
    Bettkante.
    Gran lächelte gütig und legte ihre kleine, faltige Hand auf
    meine. »Ich bin Granny Next«, sagte sie. »Allerdings nicht deine
    Großmutter. Wann hast du's gemerkt?«
    »Der Greif hat mir gerade mein Urteil gebracht.«
    Jetzt, wo ich es wusste, schien sie mir viel vertrauter als je zuvor. Ich sah jetzt sogar die kleine Narbe an ihrem Kinn, die vom
    Angriff der Leichten Panzerbrigade im Jahr '72 herrührte. Und
    auf der Stirn war eine gut verheilte Einschussnarbe zu sehen.
    »Warum hab ich das bloß nie gemerkt?«, fragte ich in meiner
    Verwirrung. »Meine echten Großmütter sind doch längst tot,
    und ich hab es immer gewusst.«
    Die müde alte Dame lächelte wieder. »Vergiss nicht, dass ich
    Aornis in meinem Kopf hatte, Schätzchen. Da lernt man schon
    ein paar Tricks. Und ich bin ja auch nützlich für dich gewesen.
    Wenn ich nicht bei dir gewesen wäre, hätte unser Ehemann
    nicht überlebt, und Aornis hätte alles zerstören können, als du
    in Caversham Heights warst. Wo ist er eigentlich, kleine Thursday?«
    »Er passt draußen auf Friday auf.«
    »Ah!« Sie sah mir eine Sekunde lang fest in die Augen. »Sagst
    du ihm bitte, dass ich ihn liebe?«
    »Natürlich.«
    »Nun, ich glaube, nachdem du jetzt weißt, wer ich bin, ist es
    wirklich Zeit, dass ich gehe. Ich habe die zehn langweiligsten
    Klassiker inzwischen gefunden und den letzten schon fast
    durchgelesen.«
    »Ich dachte, du müsstest noch eine Offenbarung erleben, ehe
    du sterben kannst? Eine letzte große Erkenntnis?«
    »Die Erkenntnis ist dir gerade gekommen, kleine Thursday.
    Allerdings war es nicht meine, sondern unsere Erkenntnis. Jetzt
    gib mir bitte mal das Buch da. Ich bin jetzt einhundertzehn, und
    es ist hohe Zeit für meinen Abgang.«
    Ich warf einen Blick auf den Nachttisch. Dort lag die Faerie
    Queene. Ich hatte das Buch nie zu Ende gelesen, so langweilig
    war es.
    »Musst du es nicht lesen?«, fragte ich.
    »Ob du es liest oder ich – das macht doch keinen Unter-schied«, kicherte sie. »Ich hab's für dich übrig gelassen.« Das
    Kichern verwandelte sich in ein mühsames Husten. Erst als ich
    sie umarmte und in den Kissen aufrichtete, kam sie wieder zu
    Atem.
    »Vielen Dank, Schätzchen!«, keuchte sie. »Du brauchst nur
    noch drei Strophen zu lesen. Ich hab die Seite eingemerkt.«
    Ich schlug das Buch auf, mochte aber nicht lesen. Meine Augen füllten sich mit Tränen. Ich sah die alte Frau an, die mich
    vergnügt anlächelte.
    »Es ist Zeit!«, sagte sie. »Aber ich beneide dich – du hast
    noch so viele herrliche Jahre vor dir! Und jetzt lies bitte!«
    Ich wischte mir die Tränen ab. Plötzlich fiel mir etwas ein.
    »Wenn ich das jetzt lese«, sagte ich langsam. »Dann habe ich es
    ja schon gelesen, wenn du … hundertzehn Jahre alt bist. Das
    heißt ja –« Ich hielt inne und versuchte, das Paradox aufzulösen.
    »Ach, Thursday!«, sagte die alte Frau. »Warum bist du nur
    immer so … linear? Es funktioniert, das kannst du mir glauben.
    Es gibt so viele Dinge, von denen wir nichts wissen können. Du
    wirst das alles noch rechtzeitig sehen, genauso wie ich.«
    Sie lächelte freundlich, und ich schlug das Buch auf. »Gibt es
    irgendwas, was du mir sagen musst?«
    Wieder lächelte sie.
    »Nein, Schätzchen. Manche Dinge bleiben besser ungesagt.
    Du und Landen – ihr werdet sehr glücklich zusammen sein!
    Das kannst du mir glauben. Und jetzt lies weiter, kleine Thursday!«
    Es entstand eine Welle, und mein Vater erschien auf der anderen Seite des Bettes.
    »Dad!«, sagte die alte Frau. »Wie schön, dass du kommst!«
    »Aber, meine Tochter, an so einem Tag darf ich doch nicht
    fehlen«, sagte er leise, ergriff ihre Hand und beugte sich zu ihr
    herunter, um ihre Stirn zu küssen. »Ich habe noch ein paar
    Leute mitgebracht. «
    Und richtig, da stand er, der junge Mann, den ich mit Lavoisier bei meiner Hochzeitsparty gesehen hatte. Er legte seine
    Hand auf ihre und küsste sie zärtlich.
    »Friday!«, sagte die alte Frau. »Wie geht's
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