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037 - Klinik der Verlorenen

037 - Klinik der Verlorenen

Titel: 037 - Klinik der Verlorenen
Autoren: Jose Michel
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zurück.
    Dr. Flamants und Ariane kamen in den Saal, gefolgt von einem Internisten aus der großen Klinik. Als ich Dr. Flamants erblickte, spürte ich einen kleinen Stich in meinem Herzen.
    Dr. Flamants’ erster Blick galt mir. Ein winziges Lächeln umspielte seine Lippen. Dann wandte er sich zum Bett der Frischoperierten, die noch immer nicht erwacht war, obwohl fast zwei Stunden vergangen waren, seit man sie in den Saal zurückgebracht hatte.
    Eric Flamants beugte sich über die Schlafende, aber ich konnte nicht sehen, was er tat, denn Ariane verstellte mir die Sicht.
    Plötzlich hörte ich Dominique Martins Stimme: »Ich sehe nichts! Ich bin blind! Wo ist denn der Herr Doktor?«
    »Da bin ich!« hörte ich Dr. Flamants’ Stimme, die sich zu einem Murmeln senkte, von dem ich nur mehr einige Sätze verstand.
    »… nicht schlimm ...« hörte ich ihn sagen. »In einigen Tagen – abnehmen, und man wird Ihnen helfen …«
    Ariane wandte sich zu mir.
    »Hat sie vorher nichts gesprochen?«
    Ich schüttelte den Kopf.
    »Sie muß den Verband einige Tage lang behalten. Wenn sie zu Ihnen spricht, sagen Sie ihr, daß sie nicht blind ist und bald gesund sein wird. In weniger als drei Wochen wird sie uns verlassen können.«
    »Ich wußte nicht, daß ihre Augen krank waren«, sagte ich.
    »Das bemerkt man nicht, Lise«, entgegnete sie. »Aber später hätte sie ihr Augenlicht verloren. Und das Abszeß war harmlos.«
    Eric Flamants wandte sich zu Olga, die schlief.
    »Sehr gut«, meinte er. »Es gibt nichts Besseres als Schlaf für die Nerven.«
    Dann sah er mich an.
    »Mademoiselle Tellier, Ihnen geht es gewiß gut. Sie haben keine Temperatur mehr, aber zur Sicherheit möchte ich morgen von Ihnen Röntgenaufnahmen machen. Bitte bleiben Sie am Morgen nüchtern.«
    Ariane bereitete eine Injektion vor und trat an Olgas Bett. Die Arme war wohl zum pausenlosen Schlafen verdammt.
    Als Eric und der Internist das Zimmer verlassen hatten, trat Ariane zu meinem Bett.
    »Lise, Sie sehen bereits viel besser aus. Das freut mich wirklich.«
    »Kann ich wieder nach Hause und arbeiten?«
    »Nicht so schnell!« rief sie aus. »Haben Sie es so eilig, an Ihre Nähmaschine zurückzukommen?«
    »Ariane, ich habe Ausgaben. Ich muß die Steuern für das Haus zahlen, das Gas, das Licht…« Ich sah sie an. »Ich könnte die Behandlung zu Hause fortsetzen …«
    »Das kommt nicht in Frage«, unterbrach sie mich freundlich, aber bestimmt. »Außerdem möchte ich Ihnen eine bessere Beschäftigung finden. Wir sprechen darüber, sobald ich etwas Näheres erfahre.«
    Ich nickte. Es berührte mich, zu sehen, wie man sich um meine Person annahm. Ich wollte nicht fragen, worum es sich handelte.
    Einen Augenblick lang betrachtete sie mich, wie um meine Fähigkeiten für den neuen Beruf abzuwägen, dann tätschelte sie meine Wange und sagte: »Auf  bald, Lise.«
    Ich sah ihr nach, als sie hinausging.
    Vom Bett gegenüber kam Dominique Martins Stimme: »Lise? Sind Sie da?«
    Sie streckte eine Hand aus und betastete ihren enormen Verband.
    »Ja, Dominique«, sagte ich.
    »Meine Augen waren immer so gut«, jammerte sie. »Sie waren das einzige, was noch richtig funktionierte. Und jetzt bin ich blind.«
    »Sie sind nicht blind«, beruhigte ich sie. »In zwei oder drei Tagen wird Ihnen der Verband abgenommen werden. Sie werden noch besser sehen als vorher.«
    »Warum mir der Doktor nichts davon gesagt hat?« seufzte sie. »Ich finde das nicht richtig, daß man hier operiert wird, ohne vorher gefragt zu werden.«
    »Er wollte Sie nicht auf regen. Haben Sie Schmerzen?«
    »Ein wenig … Wie soll ich jetzt essen? Mich waschen?«
    »Die Schwester wird Ihnen helfen. Oder ich.«  
    »Danke, Lise, das ist sehr freundlich von Ihnen. Ich möchte bald wieder weg von hier … Ich habe niemanden, der mich besuchen könnte …«
    »Sehen Sie, Dominique, ich bin auch allein.« Sie tat mir wirklich leid. »Was fehlt Olga eigentlich?« fragte ich, um das Thema zu wechseln.
    »Ihre Nerven sind nicht in Ordnung, sagt sie. Aber sie weiß selbst nicht, weshalb sie eigentlich hier ist. Zur Beobachtung, vermutlich. Eine Freundin hat ihr die Klinik empfohlen.«
    »Hat sie Verwandte?«
    »Nein. Ihre Eltern sind bei einem Unfall ums Leben gekommen.«
    Am nächsten Morgen brachte mich Schwester Eliane zum Röntgen. Im Vorbeigehen sah ich, daß Olga wach war, aber sie blickte nur starr vor sich hin.
    Eliane verließ mich, als wir bei der Röntgenstation angelangt waren. Ich wartete in
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