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037 - Klinik der Verlorenen

037 - Klinik der Verlorenen

Titel: 037 - Klinik der Verlorenen
Autoren: Jose Michel
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einem kleinen Vorraum und bekam von einer jungen Schwester ein Glas milchige Flüssigkeit zu trinken.
    Dr. Flamants kam nach einigen Minuten.
    »Haben Sie gut geschlafen, Mademoiselle?« erkundigte er sich.
    »Danke, sehr gut.«
    »Legen Sie bitte Ihren Schlaf rock ab und behalten Sie nur Ihr Höschen an.«
    Er ging voraus in den Röntgenraum, und ich folgte ihm, als ich ausgezogen war. Der Raum war dunkel, bis auf ein fahles grünes Licht. Seine warmen Hände dirigierten mich zu einer senkrechten Glasplatte. Ich fühlte das kalte Glas an meinem Rücken. Alles wurde dunkel.
    Ich wußte, daß das rote Licht auf der Instrumentenplatte vor mir in dem Augenblick erlischt, in dem eine Aufnahme gemacht wird. Ich wartete darauf, aber vergebens.
    Nichts geschah …
    »Halten Sie den Atem an«, sagte Dr. Flamants. Dann: »Atmen Sie wieder!«
    Ich hatte den Eindruck, daß der. Apparat kaputt war. Es mußte ihm aufgefallen sein, weil er ja die Hebel bediente.
    Seine Hände drehten mich seitwärts und hielten mich einen Augenblick zu lange fest. Als er fertig war, drehte er die Deckenbeleuchtung wieder an, und ich zog mich hastig an.
    »Das war alles«, sagte er. »Morgen werde ich Ihnen das Resultat sagen können, obwohl ich überzeugt bin, daß die Röntgenaufnahmen in Ordnung sein werden. Ich bin froh, daß Sie wieder auf der Höhe sind, Mademoiselle.«
    Er ging vor, und die junge Schwester von vorher geleitete mich zurück in den Krankensaal. Ich bemerkte einen Aufzug auf dem Korridor, obwohl das Gebäude ja nur dieses eine Stockwerk besaß. Also, folgerte ich, wenn der Aufzug nicht nach oben ging, dann mußte er nach unten gehen. Vielleicht zu einem Laboratorium Dr. Flamants?
    Kaum war ich im Saal, als eine junge Frau eintrat. Sie hatte dunkles Haar und dunkle Augen in einem hübschen Gesicht, das nur von einer langen, spitzen Nase etwas verunstaltet wurde.
    »Ich bin Rosy Clarmand«, stellte sie sich vor. Sie blickte mich an. »Sie sind Lise?«
    Ich nickte und reichte ihr die Hand.
    »Erlaubt Ihnen der Doktor aufzustehen?« fragte ich mit einem Blick auf das Nachthemd, das sie anhatte.
    »Nein«, meinte sie. »Aber ich bin ja erst angekommen. Ist es schlimm, wenn man ohne Erlaubnis aufsteht?«
    »Wenn Sie keine Unannehmlichkeiten wollen, wäre es besser, Sie gingen zurück ins Bett.«
    Olga und Dominique saßen in den Betten. Olga machte den Eindruck, als wäre sie weit weg.
    Ohne uns zu sehen, sagte Dominique: »Liese hat recht. Wenn man uns hier schon unentgeltlich behandelt, müssen wir uns den Regeln eisern fügen. Wären wir zahlende Patienten, hätten wir auch gewisse Rechte. So aber …«
    Schwester Eliane erschien mit einem Tablett in der Hand und wandte sich zu meinem Bett.
    »Marsch ins Bett, alle miteinander!« rief sie, mit einer Stimme, als wären wir fünfzig. »Der Herr Doktor will es so!«
    Nachdem Eliane verschwunden war. hörte ich, daß Rosy ein Herzleiden hatte. Die Behandlung sollte lange dauern, und wenn sie die Kosten selbst zu tragen hätte, wären sie für Rosy unerschwinglich gewesen. Sie hatte keine Verwandten und war Kindermädchen beim einzigen Rechtsanwalt der Stadt gewesen. Ich kannte seine drei unerträglichen Kinder und konnte ermessen, was das bedeutete.
    Sie war hingerissen von Dr. Flamants.
    »Er sieht aus wie ein Filmstar und ist so amüsant, finden Sie nicht, Lise?«
    Amüsant? Wir haben nur immer ernste Gespräche miteinander geführt. Ein unbekanntes Gefühl schlich sich bei mir ein. War ich eifersüchtig? Und Ariane? Weshalb war ich nicht auf Ariane eifersüchtig? Vielleicht, weil ich im Innersten wußte, daß ich mit ihr nicht konkurrieren konnte … Weder Rosy noch ich konnten der schönen Geliebten des Doktors gefährlich werden, davon war ich überzeugt. Obwohl ich nicht weniger hübsch war als Ariane, nur hatte ich blondes Haar und blaue Augen, und sie war dunkel.
    Die Ankunft des Doktors beendete meine Überlegungen. Rosy blühte sichtlich auf und strahlte ihn an. Olga war stumpf wie immer. Dominique konnte nichts sehen und lag bewegungslos in ihrem Bett. Ich betrachtete angelegentlich meine Fingernägel …
    Drei Männer in hellblauen Kitteln folgten dem Doktor. Ariane kam zum Schluß. Sie machten schnell die Runde und gingen, während sie über Dominique Martin sprachen.
    Am Nachmittag drehte Schwester Eliane das Radio auf. Rosy schminkte und frisierte sich, Olga schlief, und Dominique ließ die Finger unruhig über ihre Decke laufen. Ich dachte nach.
    Wir waren zu viert
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