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032 - Die magische Seuche

032 - Die magische Seuche

Titel: 032 - Die magische Seuche
Autoren: B.R. Bruss
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Angst.“
    Leon nickte. „Hätte er keine Angst gehabt, wäre er nicht zu dir gekommen“, sagte er. „Er schien zwar beruhigt, als er ging, aber vermutlich hat er weitergegrübelt, als er wieder daheim war.“
    „Wir hätten besser daran getan, ihn nicht gehen zu lassen. Vielleicht hätte ihm ein wenig Zerstreuung geholfen.“
    „Wer konnte denn das ahnen!“ rief Leon. „Wer konnte annehmen, daß sich ein erwachsener, gesunder, normaler Mann von einer Halluzination so sehr beeindrucken läßt!
    Vermutlich hat er anfangs, genau wie wir, der Sache keine Bedeutung beigemessen. Wer hat nicht schon Angstträume gehabt? Aber er war ganz sicher deprimiert, und gewiß hat ihm dieser Mann, der ihm seinen eigenen Tod ankündigte, keine Ruhe gelassen. Vielleicht hat er wieder den Fernsehapparat aufgedreht, um auf andere Gedanken zu kommen, und er hat sich wieder an die Worte des Maskierten erinnert. Vielleicht hatte er sogar die gleiche Halluzination ein zweites Mal. Und da begann in ihm die Überzeugung zu wachsen, daß er tatsächlich um Mitternacht ein toter Mann sein würde. Diese Aufregung hat sein Organismus nicht verkraftet.“
    „Das ist die einzig mögliche Erklärung“, sagte ich. „Die einzige, die wir akzeptieren können. Ich bin fast sicher, er ist gestorben, während die Uhr zwölf schlug.“
    Wir schwiegen.
    „Was tun wir jetzt?“ fragte ich. „Wir können seinen Tod nicht mehr verheimlichen. Aber vielleicht wäre es besser, über die näheren Umstände zu schweigen, um die Bevölkerung nicht zu erschrecken.“
    „Gut“, sagte Leon. „Wir werden zu niemandem davon sprechen, auch zu unseren Kollegen nicht.“
     

     
    Die nächste Woche verlief ruhiger. Nur Dr. Gorce, der älteste unserer kleinen Ärzteschaft, verzeichnete einen neuen Fall „ungeregelten Zellenwachstums“, einen Kaufmann, dessen linkes Auge unnatürlich groß zu werden begann.
    Es gab nur einen einzigen Mini-Tornado, der ein Menschenleben kostete.
    Aber es gab noch zwei plötzliche Todesfälle, einen am Donnerstag in einem Nachbardorf, den anderen am Samstag in Hercenat. Es war Faillot, ein Professor am Gymnasium, den ich sehr gut kannte.
    Ich wurde von der Familie angerufen, aber als ich kam, war es bereits zu spät. Ich fragte die Witwe, ob ihr Mann, bevor er verstorben war, Anzeichen irgendeiner Krankheit gezeigt hätte, aber sie sagte:
    „Nein, absolut nicht. Er hat sich wohl gefühlt, soviel ich weiß. Gestern abend schien er etwas zerstreuter und müder als sonst, er sprach weniger … aber er war doch so lebenslustig.“
    Ich respektierte ihr Schweigen.
    „Sind Sie gestern dauernd bei ihm gewesen?“ fragte ich sie dann.
    Sie schien erstaunt. „Dauernd? Natürlich nicht jeden Augenblick. Nach dem Mittagessen war ich mit den Kindern weg, und mein Mann sah sich inzwischen eine Sendung im Fernsehen an. Als wir zurückkamen, war er schon zu Bett gegangen und schlief. Ich weckte ihn nicht auf, aber ich weiß, daß er normal geatmet hat. Wenn ich daran denke, daß er an meiner Seite gestorben ist, während ich schlief!“ Ich verließ sie.
     

     
    Der Sommer hielt unverändert an, auch im September. Man merkte kaum, daß der Herbst vor der Tür stand.
    Aber die Leute hatten keinen Blick für die wunderbaren Farben, in denen das Tal der Sive leuchtete. Sie waren weiterhin in Angst und Sorge, obwohl die ersten fünf Tage der nächsten Woche Anlaß zur Hoffnung gaben, daß die dramatischen und rätselhaften Geschehnisse in unserer Stadt ein Ende hatten. Es passierte überhaupt nichts. Das war die erste längere Ruhepause seit Beginn der Ereignisse.
    Samstag abends traf ich Leon Nelsy vor der Kirche. Es war selten, daß er zu Fuß ging.
    „Wo gehst du hin?“ fragte ich.
    „Nicht weit. Zu Bonnaire.“
    „Kenne ich nicht.“
    „Ein freundlicher Gewürz- und Weinhändler in der Rue Base.“
    „Du besuchst doch sonst keine Patienten in der Stadt?“
    „Ich mache ein paar Ausnahmen, besonders für ihn. Ich habe seine Frau an einem Magengeschwür operiert, und seither muß ich die zahlreiche Familie behandeln, egal, worum es sich handelt. Und ich gehe hin, ich kann schlecht ablehnen.“
    „Ist er selbst erkrankt?“
    „Ja, so kann man es nennen. Von Fall zu Fall braucht er mich, wenn er ein wenig über den Durst getrunken hat. Aber diesmal sieht es ernster aus, seine Frau hat mich angerufen und war ganz außer sich. Sie trinkt auch ein bißchen. Kommst du mit? Vielleicht haben wir wieder einen plötzlichen Todesfall zu
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