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031 - Der Puppenmacher

031 - Der Puppenmacher

Titel: 031 - Der Puppenmacher
Autoren: Ernst Vlcek
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dein neues Zuhause sein!«
    Sie wich entsetzt einen Schritt zurück. Der Mann versperrte ihr jedoch den Weg. Als sie wieder zu dem Puppenhaus hinblickte, war ihr, als sei es gewachsen. Es überragte sie jetzt, und die Puppen erschienen ihr plötzlich groß.
    Sie wandte den Kopf dem Mann zu, mußte aber hoch zu ihm hinaufsehen. Sein Gesicht entschwand immer weiter zur Decke empor. Sie mußte die Augen schließen, um gegen das Schwindelgefühl anzukämpfen. Als sie sie erneut öffnete, sah sie das Gesicht des Mannes wieder vor sich, aber es war jetzt so groß wie ein Felsmassiv, in dem jede einzelne Pore einem transpirierenden Krater glich. Sie preßte ihre Hände gegen den Busen, um ihren rasenden Herzschlag zu beruhigen. Als sie an sich herunterblickte, erfaßte sie ein neues Schwindelgefühl.
    Sie stand barfuß auf der schweißnassen Handfläche des Mannes! Er öffnete jetzt den Mund, und es schien ihr, als würde sich der Rachen eines Ungeheuers auf tun, das sie verschlingen wollte.
    Aber der Mann sagte nur: »Meine Puppe!« Dann stellte er sie zart und behutsam in das Puppenhaus. »Du bekommst Kleider, damit du nicht frierst«, sagte er. »Ich werde dich mit Essen und Trinken versorgen. Und ich werde dich zähmen, meine kleine, widerspenstige Puppe. Der Tag ist nicht mehr fern, da du mir zu Willen sein wirst – wie meine anderen lieblichen Puppen. Du wirst den anderen vergessen und nur noch mich lieben, Puppe.«
    Die Vorderfront des Puppenhauses fiel zu.
    Sie war gefangen – gefangen in einem winzigen Körper, unterdrückt von der unheimlichen Willenskraft dieses Dämons.
    Aber ihr Widerstand war noch lange nicht gebrochen.
     

     

Donald Chapman wartete mit laufendem Motor vor der O’Hara-Stiftung. Es war ein kalter, nasser Dezembertag, und die Kälte und Nässe drang einem durch die Kleider bis in die Knochen. Er hatte zusätzlich zur Heizung das Warmluftgebläse eingeschaltet, damit die Scheiben nicht anliefen.
    Es schien, als starrte er durch die Windschutzscheibe ins Leere; in Wirklichkeit ließ er jedoch den Eingang der Stiftung nicht aus den Augen. Er prägte sich an jeder Person, die herauskam oder hineinging alle Einzelheiten ein. Das hatte keinen besonderen Grund; er tat es aus reiner Angewohnheit, die sein Beruf so mit sich brachte.
    Donald Chapman war Secret Service Agent, dreiundfünfzig Jahre alt, groß und muskulös. Obwohl sein dunkles Haar von Silberfäden durchzogen war, wirkte er noch jugendlich. In seinem Bekanntenkreis zog man ihn damit auf. Man sagte, er hätte sich die Haare nur gefärbt, um mit seinen grau-melierten Schläfen eine größere Wirkung auf Frauen zu erzielen.
    Er mußte unwillkürlich lächeln, als er daran dachte. In der Tat, er zog die Frauen an wie die Blumen die Schmetterlinge – aber er konnte nicht sagen, ob seine Haare, seine sonstige Erscheinung oder sein selbstsicheres Auftreten daran schuld waren. Er zerbrach sich auch nicht den Kopf darüber. Warum sollte er nach tiefsinnigen Erklärungen suchen und Analysen anstellen über etwas, das ihm – auf eine einfache Formel gebracht – Spaß machte. Er gefiel den Frauen, und sie gefielen ihm. Chapman beschäftigte sich wieder mit näherliegenden Problemen. Er ließ seine Blicke über die hohe, efeuüberwucherte Steinmauer der O’Hara-Stiftung wandern. Niemand würde ahnen, daß dahinter ein Irrenhaus lag. Freilich, die O’Hara-Stiftung war keines von jenen staatlich geleiteten Häusern, in denen renitente Patienten in Zwangsjacken schmoren mußten oder durch mittelalterliche Methoden zur Räson gebracht wurden. Die O’Hara-Stiftung war vielmehr ein Privatsanatorium, in dem psychisch Gestörte nach den neuesten Erkenntnissen der Psychoanalyse behandelt wurden – und wie man hörte, mit überragendem Erfolg. Dennoch blieb es für Chapman eine Klapsmühle.
    In den zehn Minuten, in denen er in seinem Wagen vor dem Sanatorium gewartet hatte, waren drei Personen, zwei Frauen und ein Mann, herausgekommen und vier Frauen hineingegangen. Jetzt kam wieder ein Mann durch das Tor heraus. Er war ein Meter neunzig groß, hatte dunkle, stechende Augen und auf der Oberlippe einen dichten Bart, dessen Spitzen über die Mundwinkel nach unten hingen. Er hatte die Hände tief in die Taschen seines Trenchcoats vergraben, die Schultern eingezogen und den breiten Kragen aufgestellt.
    Dorian Hunter wird nie lernen, sich zu kleiden, dachte Chapman, der selbst größten Wert auf ein korrektes Äußeres legte. Er öffnete die linke
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