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029 - Das Geheimnis des Totengraebers

029 - Das Geheimnis des Totengraebers

Titel: 029 - Das Geheimnis des Totengraebers
Autoren: Maurice Limat
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wäre doch wenigstens eine Erklärung.«
    Sorbier kratzte sich mit dem Reflexhämmerchen, das er immer noch in der Hand hielt. Dieser junge Mann machte wahrhaftig nicht den Eindruck, irgendwie erblich belastet zu sein. Und seine Aussagen waren gewiß ehrlich. Der Doktor war sich bereits ziemlich sicher, daß auch die übrigen Tests – Blutuntersuchung und die diversen Analysen – praktisch nichts ergeben würden.
    »Sie können sich wieder anziehen.« Cyrille gehorchte. Sorbier spielte nachdenklich mit dem Hämmerchen.
    »Monsieur Denizet, ich muß wirklich sagen, daß Sie mir ein Rätsel sind.«
    Cyrille schnallte seinen Gürtel zu und seufzte. »Und Sie können überhaupt nichts für mich tun?«
    »Ich kann Ihnen natürlich Beruhigungsmittel geben, aber …«
    »Ich habe Ihnen schon gesagt, daß ich davon mehr als genug eingenommen habe. Ohne Erfolg. Ich war davon morgens nur noch benommener. Aber die Alpträume haben nicht aufgehört.« Er machte eine Pause und band seine Krawatte. »Vielleicht sollte ich besser sagen: der Alptraum. Denn es ist mehr oder weniger immer derselbe.«
    Als Cyrille fertig angezogen war, deutete der Arzt auf den Stuhl vor seinem Schreibtisch. »Ich weiß nicht recht, aber ich glaube nicht, daß Sie ein Fall für den Nervenarzt sind.«
    Der junge Mann blickte ihn resigniert an. »Aber ich frage mich allmählich wirklich, ob ich nicht bald in einem Irrenhaus lande.«
    Sorbier protestierte energisch. »So etwas dürfen Sie nicht sagen! Ich habe Sie heute von Kopf bis Fuß untersucht, und körperlich sind Sie völlig gesund. Irgendwelche Anzeichen für eine geistige Störung habe ich auch nicht entdecken können. Aber sollte da doch irgendetwas sein, dann seien Sie sicher, daß ich es feststellen werde, Monsieur Denizet. Und jetzt möchte ich Sie bitten, mir noch einmal alles, schön der Reihe nach, zu erzählen. Vielleicht kommen wir dann Ihrer Neurose auf den Grund.«
    Sorbier fing den Blick seines Patienten auf. »Ja, Sie haben es mir schon erzählt, ich weiß – aber nur bruchstückweise, in nervösen Sätzen. Ich möchte die Geschichte von Anfang an hören.«
    Cyrille Denizet begann etwas zögernd und fast unwillig: »Sie kennen meine Familie, Doktor, und Sie brauchen im Grunde meine Bestätigung nicht, daß alle, auch die, die Sie nicht behandelt haben, völlig normale Leute sind. Mein Leben ist immer ohne Komplikationen gewesen: Schule, Ausbildung und Sport. Ich bin neunzehn Jahre alt und Notargehilfe. Alles war bestens und ging sogar noch besser, als ich vor einem Jahr Christiane kennen lernte.« Er schwieg und blickte gedankenverloren zum Fenster hin.
    Dr. Sorbier sagte nichts und wartete.
    »Christiane!« wiederholte Cyrille. »Unsere Liebe ist auch ohne Komplikationen gewesen. Wir haben uns einfach geliebt, und es war wunderbar. Sie war ein Mädchen von zweiundzwanzig Jahren, das sich nicht benahm wie eine Rockerbraut, das sich nicht lächerlich machte, um nur immer mit der Mode zu gehen, das …« Er unterbrach sich. »Aber diese Einzelheiten interessieren Sie bestimmt nicht.«
    »Sie helfen Ihnen, die Atmosphäre zu beschreiben – Ihre Atmosphäre. Erzählen Sie weiter!«
    »Wir wollten heiraten. Ich möchte hinzufügen, daß ich trotz meiner Leidenschaft für Christiane, die, wie ich weiß, von ihr erwidert wurde, meine zukünftige Frau respektiert habe. Aber das ist vielleicht auch überflüssig.«
    »Nichts ist überflüssig.«
    Cyrille verbarg das Gesicht in seinen Händen. »Es ist mir unmöglich, unser Glück, unsere Zukunftsträume zu beschreiben. Und dann … Wer hätte gedacht, daß ein so hübsches, so gesundes Mädchen herzkrank sein könnte? Ein angeborener Herzfehler. An diesem verfluchten Tag – einem herrlichen Sonnentag – sind wir schwimmen gegangen. Ins Schwimmbad am Ufer der Oise. Und … und …«
    Unterdrücktes Schluchzen klang in seiner Stimme mit. »Christiane sprang ins Wasser und kam nicht wieder hoch. Ich bin sofort nach gesprungen, zusammen mit meinem Freund Stefan. Wir haben sie dann herausgeholt.«
    Von neuem erschüttert über das schreckliche Ereignis an jenem Tag, überging Cyrille jene Einzelheiten, die er dem Arzt bereits erzählt hatte: die Wiederbelebungsversuche, das Eingreifen der Feuerwehr und eines Arztes, der’in der Nähe badete. Aber Christiane konnte nicht mehr ins Leben zurückgerufen werden.
    »Ich litt entsetzlich – leide immer noch entsetzlich unter dem Verlust. Aber ein solcher Kummer ist schließlich normal, nicht wahr?
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