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020 - Die Blutgraefin

020 - Die Blutgraefin

Titel: 020 - Die Blutgraefin
Autoren: Hugh Walker
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von Grimm und Abscheu und Entsetzen, mit kaum noch menschlicher Stimme. Ich hatte plötzlich die kleine Pistole in der Hand und krümmte den Finger. Es krachte furchtbar in dem engen Gewölbe.
    Zwei Frauen fuhren erschrocken herum; eine in einem weißen, blutverschmierten Gewand, die die Gefesselte mit dem Messer bearbeitet hatte, und die zweite in einem knöchellangen, schmutzigen Rock, die sich am Kopf der Gefangenen zu schaffen gemacht hatte. Ich erhaschte nur einen kurzen Blick auf die Weißgekleidete, denn die andere fuhr wie eine Furie auf mich los. Ich erkannte ihr Gesicht sofort – jenes alte Gesicht, das ich bereits einmal von Madames Fenster aus in diesem Haus gesehen hatte. Aber nun war es dämonisch verzerrt, ein Kreischen kam aus ihrem Mund, Nägel kratzten über mein Gesicht, dass ich aufheulte. Kalt war es plötzlich, eine unirdische Kälte strömte mir entgegen, und wo dieses alte Weib mich anfasste, war es mir, als gefriere mir selbst das Mark in den Knochen.
    Ich schoss erneut – unbewusst, drückte den Finger immer wieder durch. Das Knallen ernüchterte mich. Die Alte wich einen Augenblick zurück. Die andere huschte an mir vorbei, und ich konnte es nicht verhindern. Dann hatte ich alle Hände voll zu tun, mich gegen den wütenden Angriff der Alten zu wehren, die wie ein Raubtier auf mich losging. Ich schützte mein Gesicht mit den Armen. Ich schlug zu, aber sie schien es nicht zu spüren, und ich hatte selbst nicht das Gefühl, Fleisch und Knochen zu treffen …
    Ich ergriff eine der Kerzen und stieß sie mit der Flamme und dem heißen Wachs voran in das Gesicht der Frau. Sie wich brüllend zurück. Ich wandte mich um und raffte sämtliche Kerzen zusammen, die um die Gefangene standen. Damit stieß ich blind zu, fühlte das heiße Wachs an meinen Fingern, aber es erfüllte mich nicht mit Schmerz, sondern mit Genugtuung.
    Vielleicht hatte Madame recht, und das Wesen vor mir war nicht ganz menschlich. Es gab nur eines, das die Dämonen mehr fürchteten als die Lebenden – das Feuer! Weil es ihre unirdische Substanz verzehrte, dieses kostbare Medium ihrer Existenz.
    Ich hatte nur diese paar Kerzen, deren Flammen schon bei einer heftigen Bewegung verlöschen konnten. Sie verlöschten beim ersten Stoß. Aber auch das Kreischen brach ab. Da war ein Ton wie von einem Scheibenwischer, der quietschend über eine trockene Scheibe gleitet – und etwas verschwand. Es verließ den Raum nicht durch die Tür, das wusste ich trotz der absoluten Finsternis, in der ich stand. Wer oder was diese Alte gewesen war – ich spürte deutlich, wie der Raum plötzlich frei von ihrer Gegenwart war.
    Ich stand keuchend in der Nachtschwärze und kämpfte mit aller Macht gegen das Grauen an.
    Ein Stöhnen brachte mich zur Besinnung. Das Mädchen!
    Hastig riss ich meine Taschenlampe heraus und wandte mich der Gefesselten zu.
    Es war mir, als müsse ich selbst schreien bei ihrem Anblick.
    Ich musste mich zwingen, sie anzusehen, den Blick nicht einfach abzuwenden. Sie war überall voll Blut. Es gab Wunden an den Armen und Schenkeln, tiefe Schnitte, aus denen es noch immer floss. Sie hing kraftlos in den Ketten, und ich dachte schon, sie lebte nicht mehr. Aber dann stöhnte sie erneut, und das Mitleid würgte in meiner Kehle und machte mich halb blind vor Tränen. Wie ist es nur möglich, dass ein Mensch einen anderen so zuzurichten vermag? Es muss etwas wahrhaft Dämonisches in seinem Herzen sein.
    Meine Hände zitterten, als ich mich an den Ringen ihrer Ketten zu schaffen machte, und es schien mir endlos, bis ich sie zu öffnen vermochte. Ich ließ die junge Frau vorsichtig zu Boden gleiten, bis sie gegen mich gelehnt kniete. Ich musste sie halten, und es schien kaum noch Leben in ihr. Als ich sie hochhob, fiel ihr Kopf zurück, und ich sah entsetzt, warum sie die ganze Zeit über nicht mehr geschrieen hatte. Warum sie trotz der unerträglichen Schmerzen, die sie gefühlt haben musste, nur gewimmert hatte. Sie hatten ihr mit einem groben Faden den Mund verschlossen.
    Ich nahm mein Messer, und diesen Faden aufzuschneiden war die fürchterlichste Arbeit, die ich je in meinem Leben verrichtet hatte.
    Die Lippen öffneten sich. Es kam kein Laut, nur Blut. Das Mädchen war ohnmächtig geworden.
    Es war schwierig, sie durch den engen Gang zu tragen, und ich war froh, dass sie das Bewusstsein verloren hatte. Mit der Taschenlampe im Mund und dem blutigen Bündel in den Armen stolperte ich durch den Gang zurück. Dieser kurze Weg war
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