Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
02 - Die ungleichen Schwestern

02 - Die ungleichen Schwestern

Titel: 02 - Die ungleichen Schwestern
Autoren: Marion Chesney
Vom Netzwerk:
erzählt«, rief Jane aus.
    »Man
glaubte, Clara sei an jenem Nachmittag spazierengegangen, aber in Wirklichkeit
war sie bei mir. Ich wickelte ihre Leiche in ein Leinentuch, ging zur Hintertür
meines Hauses hinaus und in den Stall. Man hätte mich dabei leicht beobachten
können, aber ich war so verrückt vor Kummer, dass ich halb wünschte, entdeckt
zu werden, und gleichzeitig war ich entschlossen, ungestraft davonzukommen.
Seltsam.
    Ich legte
ihren Leichnam auf den Boden meiner Kutsche und schirrte die Pferde selbst an.
Ich hatte an diesem Nachmittag allen meinen Dienern freigegeben. Mein
Stallknecht hatte das glücklicherweise so ausgelegt, dass es auch ihn betraf, und
war nirgends zu sehen.
    Ich
fuhr geradewegs in den Green Park und hielt beim oberen Staubecken. Dort
öffnete ich die Kutschentür und ließ Claras Leiche auf das Gras hinunterrollen.
Ihr Gesicht war zum Himmel gerichtet. Sie sah ganz friedlich aus. In dem
Augenblick kam ein Parkwächter herbeigeeilt und wollte wissen, wie ich dazu
käme, mit der Kutsche über den Rasen zu fahren. Ich zeigte auf Claras Leiche
und sagte, ich sei geholt worden, weil man die Leiche gefunden habe.«
    »Aber
hat man denn nicht gefragt, wer Sie gerufen hat?«
    »Bei
all dem Geschrei und der Aufregung, die folgte, glaubte man, dass die Wache
mich zu Hause aufgesucht habe und dass die Leiche von einer alten Frau entdeckt
worden sei. Als sich das Durcheinander legte, wußte keiner, dass ich sozusagen
als erster da war. Ich habe die Autopsie selbst durchgeführt, ein widerwärtiges
Geschäft. Keiner stellte meinen Befund oder vielmehr das Fehlen eines Befundes
in Frage.«
    Er
schwieg wieder.
    »Sie
sind ein Ungeheuer«, flüsterte Jane.
    »Ich
nicht«, entgegnete er. »0 nein, ich nicht. Geben Sie die Schuld der sogenannten
guten Gesellschaft, wenn Sie jemandem die Schuld geben müssen. Ich stamme aus
einer armen Familie und habe mich hochgearbeitet. Ich habe als Schiffsarzt auf
den verdreckten Auswandererschiffen, die von Portsmouth nach Amerika fahren,
gearbeitet. Dann hatte ich das Glück, einen reichen Gönner zu finden, der es
mir ermöglichte, im West End eine Praxis aufzumachen. Ich bin schnell
aufgestiegen. Ich wußte, wie man dem nichtsnutzigen Pack mit seinen eingebildeten
Leiden schmeichelt und schöntut. Ein anständiger Arbeitstag würde die meisten
von ihnen kurieren. Aber ich habe hinter ihren Augen immer sorgfältig
verborgene Verachtung lauern sehen. Ich wußte, dass ich niemals dazugehören
würde; ich war nur so lange akzeptiert, wie ich den Puls der Countess of Vanity
hielt und ihr etwas über ihre zarte Konstitution erzählte. Clara hat mir das
deutlich zu verstehen gegeben. Mr. Bullfinch hat sehr viel Geld. Bankiers
gehören ebenso wie Brauer zur guten Gesellschaft. Arzte nicht.
    Und
wenn Sie die Möglichkeit hätten, sich sinnvoll zu beschäftigen, dann würden Sie
sich nicht in die Angelegenheiten anderer Leute einmischen.«
    »Werden
Sie mich töten?« fragte Jane.
    »Selbstverständlich«,
sagte Mr. Gillespie.
    »Selbstverständlich.«

    Lord Tregarthan
warf seine schmutzige Reisekleidung auf einen Haufen und bespritzte Kopf und
Schultern mit heißem Wasser, während ihn sein Freund, Mr. Nevill, verwundert
dabei beobachtete. »Ich dachte, du wolltest Miss Jane erst morgen einen Besuch
machen«, sagte er.
    »Nicht
nach dem, was du mir erzählt hast«, entgegnete Lord Tregarthan und rubbelte
sich mit einem Handtuch trocken.
    »Was?
Die Sache mit Clara? Oh, du weißt doch, dass junge Mädchen eine Menge Phantasie
haben. Glaub' mir, es ist alles Humbug.«
    »Ich
habe es nie für abwegig gehalten«, sagte Lord Tregarthan und zog ein
Rüschenhemd aus Batist über den Kopf. »Ich habe sie gebeten, die Sache
aufzugeben, weil ich fürchtete, dass sie weitere Nachforschungen in Gefahr
bringen könnten. Sie kann bereits in Gefahr sein.«
    »Es muss
Liebe sein«, meinte Mr. Nevill verwundert. »Ihr werdet euch treffen und euch
küssen und alle beide herzlich über die wilden Phantastereien lachen.«
    »Ich
hoffe es«, sagte er grimmig.
    »Willst
du nicht nach deinem Kammerdiener klingeln?«
    »Nein,
er braucht mir zu lang.«
    Mr.
Nevill sah bewundernd zu, wie sich sein Freund in Windeseile in seine
Abendkleidung warf. »Willst du, dass ich mitkomme?« fragte er.
    »Nein«,
antwortete der Beau mit einem Grinsen. »Ich will sie ganz für mich allein
haben.«
    Als
Lord Tregarthan zur Clarges Street ging, schob er seine Ängste um Janes
Sicherheit beiseite und
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher