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017 - Der Engel des Schreckens

017 - Der Engel des Schreckens

Titel: 017 - Der Engel des Schreckens
Autoren: Edgar Wallace
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hindurch saß Lydia in dem kleinen Schlafzimmer, das ihr Mrs. Rennett zur Verfügung gestellt hatte, und dachte - grübelte - überlegte. Vergeblich hatte sie versucht zu schlafen und war dann im Zimmer auf und ab gelaufen, vom Fenster zur Tür, von der Tür zum Fenster. Ihre Gedanken hatten sich noch nie ernsthaft mit einer Heirat befaßt, und eine solche wie die ihr vorgeschlagene würde keine besonderen Schrecken für sie gehabt haben, wenn das Vorspiel dazu weniger aufregend gewesen wäre. Die Aussicht, nur dem Namen nach Frau zu sein, der Gedanke, daß ihr Gatte die nächsten zwanzig Jahre im Kerker verleben würde, beunruhigte sie jedoch nicht. Warum - wußte sie nicht, aber sie glaubte Jack Glover, daß Meredith unschuldig sei.
    Sie fragte sich, was Mrs. Morgan wohl sagen werde und welche Erklärung sie im Büro geben könne. Die Arbeit dort war ihr nicht sehr ans Herz gewachsen, sie würde sie mit Vergnügen aufgeben und sich ernsthaft dem Kunststudium widmen. Fünftausend Pfund im Jahr! Sie könnte in Italien leben, bei den berühmtesten Malern studieren, ein eigenes Auto haben - die Möglichkeiten waren ja beinahe unbeschränkt. Aber was waren die Nachteile?
    Sie zuckte die Achseln, als sie sich diese Frage zum hundertsten Male vorlegte. Ja, welche Nachteile könnte es da geben? Eine andere Heirat war allerdings ausgeschlossen, aber sie wollte ja gar nicht heiraten. Sie gehörte nicht zu denen, die sich leicht verlieben, war viel zu unabhängig und nüchtern dazu, kannte die Männer und ihre Schwächen nur zu gut.
    »Der liebe Gott hat mich zur alten Jungfer bestimmt«, sagte sie halblaut.
    Um sieben Uhr morgens - welch ein trüber und trauriger Morgen, dachte Lydia, als sie zum Fenster hinausblickte - brachte ihr Mrs. Rennett eine Tasse Tee.
    »Ich glaube, Sie haben überhaupt nicht geschlafen, arme Kleine«, sagte die alte Dame mit einem Blick auf das unberührte Bett. »Ich kann Ihnen das nachfühlen.«
    Sie legte ihre Hand auf den Arm des jungen Mädchens und drückte ihn mitleidig.
    »Es ist nicht leicht für Sie und für uns auch nicht.« Sie lächelte ein wenig. »Ich befürchte, wir alle werden die größten Unannehmlichkeiten haben.«
    Den gleichen Gedanken hatte auch Lydia, als ihr die düstere Schilderung Glovers einfiel.
    »Wird es nicht sehr ernsthafte Folgen für Sie haben, wenn die Polizei herausbekommt, daß Sie bei einer Flucht mitgeholfen haben?«
    »Flucht, mein liebes Kind?« Mrs. Rennetts Gesicht war eine Maske. »Ich habe nichts von einer Flucht gehört. Wir wissen nur, daß der arme Mr. Meredith in Erwartung der Erlaubnis des Justizministers alle nötigen Vorbereitungen für eine Trauung in unserem Haus getroffen hat. Wie Mr. Meredith hierhergekommen ist, entzieht sich vollkommen unserer Kenntnis«, sagte die diplomatische alte Dame, und Lydia mußte unwillkürlich lachen.
    Langsam beendete sie ihre Toilette, und Punkt acht klopfte Mrs. Rennett zum zweitenmal an die Tür.
    »Man wartet auf Sie«, sagte sie leise mit zitternden Lippen; ihr Gesicht war sehr bleich.
    Aber Lydia war jetzt die Ruhe selbst; ihr Entschluß war gefaßt.
    Im Salon warteten vier Herren; zwei waren ihr bekannt: Glover und Rennett. Den dritten erkannte Lydia an seiner geistlichen Kleidung. Ihre ganze Aufmerksamkeit richtete sich jetzt auf den vierten, einen hochgewachsenen Mann, unrasiert, mit kurzgeschnittenem Haar, Gesicht und Körper so abgemagert, daß sein Anzug an ihm zu hängen schien. Ihre erste Empfindung war Widerwillen, Abscheu, aber dann kam ein tiefes Mitleid über sie - James Meredith schien schwer krank zu sein. Er wandte sich ihr zu, als sie hereinkam, blickte sie forschend an und kam ihr mit ausgestreckter Hand entgegen.
    »Miss Beale? Es tut mir leid, unter derartig peinlichen Verhältnissen Ihre Bekanntschaft zu machen. Glover hat Ihnen die Sachlage auseinandergesetzt?«
    Sie nickte.
    Seine tiefliegenden Augen hielten sie wie in einem magnetischen Bann.
    »Die Einzelheiten und Bedingungen sind Ihnen klar? Glover hat Ihnen mitgeteilt, warum diese Heirat stattfinden muß? Glauben Sie mir bitte«, fügte er leiser hinzu, »ich bin Ihnen unendlich dankbar, daß Sie auf meine Wünsche eingegangen sind.«
    Ohne ein weiteres Wort an sie wandte er sich dem Geistlichen zu.
    »Wir können beginnen«, sagte er einfach.
    Die Zeremonie erschien dem jungen Mädchen so unwahrscheinlich, daß ihr deren Bedeutung nicht einmal zum Bewußtsein kam, als sich ein Ring - er war viel zu groß, denn Glover hatte ihn
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