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0101 - Die Menschentiger

0101 - Die Menschentiger

Titel: 0101 - Die Menschentiger
Autoren: Franc Helgath
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Leonardo de Montagne hing an seinem Hals wie jede andere Kette aus irgendeinem Warenhaus auch. Es warnte ihn nicht.
    Zamorra horchte in sich hinein, erforschte sein Innerstes.
    Und da war wohl etwas. Ein ziemlich ungutes Gefühl. Man umschrieb es wohl am besten mit einer Vorahnung. Einer unguten Vorahnung.
    Die Frau war jetzt nah genug, daß man sie besser erkennen konnte. Zamorras ungute Gefühle verstärkten sich.
    Die Frau war nicht nur unsagbar dick, sie war auch unsagbar häßlich. Etwas maskenhaft Starres ging von ihr aus.
    Die grauen, fettigsträhnigen Haare standen ihr wie ein grotesker Helm vom kugelrunden Schädel ab, den drei mächtige Doppelkinne übergangslos mit dem fleischigen, tonnenförmigen Rumpf verbanden. Das Gesicht war eine breiige Masse, in der man kaum die Nase fand. Der Mund ähnelte dem eines Schrumpfkopfs. Strahlenförmig breiteten sich runzlige Falten davon aus wie verknittertes Pergament. Augen suchte Zamorra vergebens. Sie mußten in die Fettwülste eingebettet sein, die auch die winzige Nase mit den rüsselartig nach vorne zeigenden Atemöffnungen fast verbargen.
    Ihr Gewand war ungeheuer schmutzig. Es starrte vor Dreck. Früher mochte es einmal weiß gewesen sein. Jetzt sah es aus wie ein Sack, der jahrelang vergessen im Kohlenkeller gelegen hatte. Links und rechts ragten schwabbelnde Arme aus dem kolossalen Körper, und diese monströsen Arme stachen das Paddel wie ein Automat.
    Sie war schon längst auf Rufweite herangekommen. Trotz ihrer erst vor einer Minute gemachten schlechten Erfahrungen versuchte Nicole erneut zu winken. Aber sie blieb liegen dabei. Sie sah aus wie ein weißer Vogel, der sich flügellahm wieder in die Lüfte erheben wollte. Nicole rief auch. Zamorra horchte nicht auf ihre Worte. Er beobachtete nur mit hellwachem Interesse.
    Je näher die Frau mit ihrem Boot kam, um so unheimlicher kam sie ihm vor. Sie schien einen Keil aus Kälte vor sich durch die flirrende Hitze zu schieben. Zamorra fröstelte. Augen sah er immer noch keine. Das Boot legte kunstvoll gesteuert an.
    Die Frau sagte nichts. Ihr Mund blieb verkniffen. Sie wandte sich Zamorra und Nicole nicht einmal zu. Nur das Paddel hatte sie sinken lassen, als hätte jemand bei ihr an einem verborgenen Knopf gedreht, der ihre Bewegungen ausschaltete.
    Nicole betrieb indessen ausgesucht höfliche Konversation und überschüttete die alte Vettel mit Artigkeiten. Das auch noch in klangvollstem Sorbonne-Französisch. Sie hätte sich genausogut mit einem Stein unterhalten können, denn die Frau rührte sich nicht, Unter anderen Voraussetzungen hätte Zamorra die Situation lautschallend belacht. So aber zog es vor, sein Gesicht in düstere Falten zu legen. Das Ganze erinnerte ihn verteufelt an die griechische Mythologe, wo der Fährmann die Toten über den Fluß zum Hades einschifft. Hier hatten sie es mit einer Fährfrau zu tun.
    Auch sie schien nicht aus dieser Welt zu stammen. Sie saß nur da. Ein lebloses, zu Stein gewordenes Stück Fleisch.
    Endlich wurde sich Nicole bewußt, wie wenig sie mit ihrem Wortschwall ausrichtete. Mit erstaunt aufgerissenen Kinderaugen wandte sie sich zu Zamorra um.
    »Steig schon ein«, sagte der sarkastisch. »Das ist unser Wassertaxi in die Hölle, fürchte ich.«
    »Aber ein Boot ist besser als unsere Insel«, meinte sie und überging Zamorras Skeptik. »Die Madame mag ja etwas seltsam sein, aber ich kenne auch in Frankreich einige Leute. Wenn ein gebildeter Bengalese denen auf dem Feld begegnen würde, würde er sie auch für Wesen von einem anderen Stern halten.«
    Sie unterstrich ihre Meinung mit der entsprechenden Gestik. Nicole war froh, endlich von dieser häßlichen Insel herunterzukommen. Sie war ein Mensch, der sein Glück hauptsächlich in der Gegenwart suchte und auch fand und unangenehme Gedanken gern so lange wie nur irgend möglich in die hintersten Kämmerchen des Gehirns verbannte.
    Vor allem schätzte sie die Bequemlichkeit, und es war zweifellos vorteilhafter, bei einer Hexe im Boot zu sitzen, als auf einer schwankenden feuchten Insel zu schwitzen, die sich langsam, aber sicher in nichts auflöste. Nicole war eine praktisch veranlagte Frau. Wenn später etwas Außerordentliches passieren sollte, dann sollte man sich erst später darauf einstellen.
    Sie griff beherzt nach der Wandung des Boots und zog sich hinüber. Zamorra konnte ihr nicht helfen. Zuviel Gewicht auf einem Fleck hielt ihr Floß nicht mehr aus.
    Er begann erst zu robben, als Nicole sich schon
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