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01 - Gott schütze dieses Haus

01 - Gott schütze dieses Haus

Titel: 01 - Gott schütze dieses Haus
Autoren: Elizabeth George
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mußt jetzt Mama für mich sein.‹ Ich wußte nicht, was er meinte. Da zeigte er es mir. Er las aus der Bibel vor. Er betete. Und er zeigte es mir. Aber ich war zu klein, um ihm eine richtige Mama zu sein. Da hat er - ich mußte andere Dinge tun. Er brachte sie mir bei. Und ich war - war eine sehr gute Schülerin.«
    »Sie wollten ihm gefallen. Er war Ihr Vater. Er war alles, was Sie hatten.«
    »Ich wollte, daß er mich liebt. Er sagte, er liebte mich, wenn ich - wenn wir ... ›Papa hat es am liebsten in deinem Mund, Gilly.‹ Und hinterher haben wir gebetet.
    Immer haben wir gebetet. Ich dachte, Gott würde mir verzeihen, daß ich Mama vertrieben hatte, wenn ich mich nur bemühte, Papa eine gute Mama zu sein. Aber Gott hat mir nie vergeben. Er existierte gar nicht.«
    Jonah ließ den Kopf auf den Tisch sinken und begann zu weinen.
    Gillian sah endlich ihre Schwester wieder an. Robertas Blick lag auf ihr, wenn auch ihr Gesicht ohne Ausdruck war. Sie hatte aufgehört, sich zu wiegen.
    »Ich habe Dinge getan, Bobby, Dinge, die ich nicht verstand, weil Mama fort war, und ich - ich wollte meine Mama wiederhaben. Und ich dachte, ich könnte sie nur wiederbekommen, wenn ich selbst Mama werden würde.«
    »War es das, was Sie taten, als Sie sechzehn wurden?« fragte Samuels leise.
    »Er kam in mein Zimmer. Es war spät. Er sagte, es wäre an der Zeit für mich, Lots Tochter zu werden. Richtig. So, wie es in der Bibel steht. Und er zog sich aus.«
    »Das hatte er vorher nie getan?«
    »Ganz hatte er sich nie ausgezogen. Nein. Ich dachte, er wollte ... was ich sonst immer ... Aber das war's nicht. Er - drückte mir die Beine auseinander und ... Du bist ... Ich kann nicht atmen, Papa. Du bist zu schwer. Bitte, nicht. Ich hab' Angst. Es tut weh. Oh, es tut so weh.«
    Jonah sprang schwankend auf, stieß seinen Stuhl heftig über den Linoleumboden. Er torkelte zum Fenster. »Es ist nie geschehen!« schluchzte er, die Stirn an die Scheibe gedrückt. »Es kann nicht geschehen sein. Es kann nicht. Du bist meine Frau.«
    »Aber er legte mir die Hand auf den Mund. Er sagte: ›Wir dürfen Bobby nicht wecken, Herzchen. Papa hat dich am liebsten. Komm, Papa zeigt es dir, Gilly. Laß Papa rein. Wie Mama. Wie eine richtige Mama. Laß Papa rein.‹ Und es tat weh. Es tat so weh. Und ich haßte ihn.«
    »Mein Gott, nein!« schrie Jonah und riß die Tür auf. Sie flog krachend an die Wand. Er stürzte aus dem Zimmer.
    Es war still. Dann begann Gillian zu weinen.
    »Ich war nur eine Hülle. Ich war niemand. Was machte es schon, was er mir antat? Ich war ja nicht da. Ich wurde das, was er haben wollte, was jeder gerade haben wollte. So habe ich gelebt. Jonah, so habe ich gelebt.«
    »Indem Sie es jedem recht machten?« fragte Samuels.
    »Die Leute kennen nichts Schöneres, als sich zu spiegeln. Also wurde ich zum Spiegel. Das hat er aus mir gemacht. O Gott, ich haßte ihn. Ich haßte ihn so sehr!«
    Sie schlug die Hände vors Gesicht und weinte, Tränen der Qual, die sie elf lange Jahre zurückgehalten hatte. Die anderen saßen reglos und hörten ihr Weinen. Nach einer langen Zeit hob sie das zerquälte Gesicht zu ihrer Schwester.
    »Laß dich nicht umbringen von ihm, Bobby. Laß ihn das nicht tun. Um Gottes willen, sag ihnen die Wahrheit.«
    Stille. Es kam nichts. Nur die kaum erträglichen Schmerzenslaute Gillians waren zu hören. Roberta rührte sich nicht. Sie hätte taub sein können.
    »Tommy«, flüsterte Helen. »Ich halt' das nicht aus. Sie hat es umsonst getan.«
    Lynley starrte ins Nebenzimmer. Sein Kopf dröhnte, seine Kehle schmerzte, seine Augen brannten. Er hatte nur ein Verlangen: William Teys zu finden, ihn lebend zu finden und den Mann Glied für Glied in Stücke zu reißen. Nie zuvor hatte er solchen Zorn verspürt, solches Entsetzen, solchen Ekel. Gillians Qual hatte sich seiner bemächtigt wie eine Krankheit.
    Sie hatte fast aufgehört zu weinen. Jetzt stand sie auf. Schwankend, benommen ging sie zur Tür. Sie griff nach dem Knauf. Sie drehte ihn, zog die Tür auf. Es war zwecklos gewesen. Es war vorbei.
    »Mußtest du auch die Nackedeiparade machen, Gilly?« fragte Roberta.

16
    Mit einer Bewegung, als befände sie sich unter Wasser, drehte sich Gillian beim Klang der tiefen Stimme ihrer Schwester langsam von der Tür weg.
    »Erzähl es mir«, flüsterte sie.
    Sie ging zu ihrem Stuhl zurück, rückte ihn näher an den anderen heran und setzte sich.
    Robertas Augen, schwerlidrig unter den schützenden Fettwülsten,
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