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009 - Der Engel von Inveraray

009 - Der Engel von Inveraray

Titel: 009 - Der Engel von Inveraray
Autoren: Karyn Monk
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dann würde er Inveraray auf der Stelle verlassen und versuchen, seinen Namen rein zu waschen.
    Der Umstand, dass vor dem Gefängnis keine Kutsche auf Miss MacPhail gewartet hatte, und die Schlichtheit ihrer Aufmachung ließen darauf schließen, dass sie in bescheidenen Verhältnissen lebte. Es überraschte Haydon daher, als er ihr in eine feine Straße folgte und beobachtete, wie sie durch eine mit hübschen Schnitzereien verzierte Tür in einem großen, eleganten Haus aus grauem Stein mit zahlreichen Fenstern verschwand. Gemessen an Haydons Verhältnissen, war das Haus nichts Besonderes, doch es zeugte von Vornehmheit und Wohlstand, genau wie die Gebäude der Nachbarschaft. Jack hatte völlig unbeeindruckt von seinem neuen Heim gewirkt und war die Treppe hinaufgestiegen und im Haus verschwunden, ohne es eines zweiten Blickes zu würdigen. Haydon war bewusst, dass der Junge nicht die Absicht hatte, dort zu bleiben. Falls sich ihm die Gelegenheit bieten sollte, mit ihm zu reden, würde es ihm vielleicht gelingen, ihm klarzumachen, welch seltene Chance man ihm gegeben hatte.
    Die Vorhänge waren zugezogen, so dass nur ein sanftes, warmes Licht durch den Stoff drang. Beinahe überwältigt von Erschöpfung, hatte Haydon sich gezwungen, im Schatten eines Nachbarhauses zu verharren. Nach einer Stunde oder mehr öffneten sich die Gardinen in einem der oberen Fenster einen Spaltbreit, und ein blasses junges Gesicht blickte auf die Straße hinab. Haydon zog sich tiefer in die Schatten zurück und wartete. Nach einer Weile verschwand das Gesicht hinter den Vorhängen.
    Haydon konnte nicht mit Gewissheit sagen, ob es sich um Jack gehandelt hatte, doch er vermutete es. Argwöhnte der Bursche, dass er ihm gefolgt war? Möglich wäre es.
    Jack hatte den Großteil seines Lebens auf der Straße verbracht und gewiss ein feineres Gespür für seine Umwelt als jene, die in behüteteren Verhältnissen aufgewachsen waren. Vielleicht war der Junge aber auch einfach neugierig auf seine neue Umgebung gewesen und hatte sich einen Augenblick Zeit genommen, um auf die Straße zu gucken und über seine neue Lage nachzudenken, bevor er in ein sauberes, bequemes Bett gestiegen war.
    Haydon hob die Hand an die Stirn und kämpfte gegen die Benommenheit an, die ihn zu überwältigen drohte.
    Eins nach dem anderen wurden die Lichter im Haus gelöscht, bis alle Fenster dunkle Flächen waren. Zitternd vor Fieber und vollkommen entkräftet, trat Haydon langsam aus dem Schatten.
    Wissend, dass er keine andere Wahl hatte, hob er eine Hand voll Kieselsteine vom Boden und begann, sie an das vermeintliche Fenster des Jungen zu werfen.
    „Ein Mann wirft Steine gegen unser Fenster!" rief die zehnjährige Annabelle, als sie mit wehendem hellblonden Haar in Genevieves Zimmer gelaufen kam und aufgeregt auf ihr Bett sprang.
    „Das macht er schon seit ein paar Minuten", fügte Grace hinzu und stieß tollpatschig gegen Genevieves Nachttisch, bevor sie Annabelle auf die Matratze folgte. Grace war zwei Jahre älter als ihre Stiefschwester, doch anders als ihr Name vermuten ließ, fehlte ihr Annabeiles graziöse Anmut.
    „Was will er bloß?" fragte Charlotte, als sie in das Schlafzimmer humpelte, ein ruhiges, ernstes Kind von elf Jahren mit glänzendem kastanienbraunen Haar und großen haselnussfarbenen Augen. Leider war ihr Humpeln das Einzige, das den meisten Menschen an ihr auffiel.
    „Vielleicht ist es ein geheimer Verehrer von Genevieve, der gekommen ist, um ihr seine unsterbliche Liebe zu gestehen", schwärmte Annabelle verträumt.
    Grace verzog das Gesicht. „Warum kommt er dann nicht tagsüber, um seine unsterbliche Liebe zu gestehen, wenn Genevieve wach ist?"
    „Weil wir dann alle wach sind und ihn sehen können, und dann wäre er kein heimlicher Verehrer mehr", erklärte Annabelle.
    „Jetzt sind wir allerdings auch alle wach", bemerkte Charlotte.
    Genevieve fühlte sich jedoch noch stark benommen, während sie mit den Zündhölzern hantierte, um die Öllampe neben ihrem Bett zu entzünden. „Ein Mann wirft Steine ans Fenster?" murmelte sie schlaftrunken und blickte verwirrt in die Gesichter der drei aufgeregten Mädchen.
    „Und er schaut furchtbar gut aus!" fügte Annabelle atemlos hinzu und faltete die kleinen Hände vor der Brust. „Wie ein Prinz!"

    „Das kannst du gar nicht wissen", widersprach Grace. „Du hast ihn kaum gesehen."
    „Doch, das habe ich", beharrte Annabelle. „Und das Mondlicht schien auf sein schönes Gesicht, und erwirkte,
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