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0072 - Die Ruine des Hexers

0072 - Die Ruine des Hexers

Titel: 0072 - Die Ruine des Hexers
Autoren: Walter Appel
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bestimmte Kräuter wollte. Vom Kräutersammeln lebe ich nämlich, schlecht und dürftig genug. Aber was soll eine arme alte Frau heutzutage schon anders erwarten? Die Kolonien sind verloren, der Staat geht bankrott, und Ludwig der XVI. widmet sich der Vogeljagd und schreibt Sonette. So eine Zeit wie die heutige hat es überhaupt noch nie gegeben. Die Jugend hat keinen Respekt vor dem Alter mehr, die Adligen treiben Willkür, und alles geht drunter und drüber.«
    Zamorra unterbrach das Lamento.
    »Du kannst uns sicher einiges über Romain Rolland erzählen, Antoinette. Du hast zum Baron gesagt, du wüßtest Mittel, um seinen Zauber zu vernichten. Nun, daran bin ich sehr interessiert.«
    Die Alte setzte sich, und sie begann, zu erzählen. Nicole nahm auf dem zweiten wackligen Stuhl Platz, den es in der Hütte gab. Zamorra wollte sich nicht auf den völlig verdreckten, verschlissenen alten Diwan setzen; er stand lieber.
    Eine schwarze Katze kam aus der Ecke und sprang auf den Schoß der Alten. Sie schnurrte, als Antoinette sie kraulte. Zamorra faßte an sein Amulett, aber er konnte keine dämonische Ausstrahlung spüren.
    Die alte Antoinette hatte ihre Schrullen, aber eine bösartige Hexe mit dämonischer Natur war sie nicht.
    Sie erzählte. Das Licht der Lampe flackerte und ließ Schatten über die Wände tanzen. Die Katze schnurrte.
    Die bucklige Alte berichtete, daß Romain Rolland vor sieben Jahren nach Angers gekommen sei. Er hatte Vermögen, und über seine Vergangenheit sprach er nie. Sein Akzent verriet, daß er in Italien geboren oder sehr lange dort gelebt haben mußte, und deshalb nannte man ihn Romain, den Römer oder den Römischen. Seinen richtigen Vornamen kannte niemand.
    Nicht einmal seinen Richtern, die ihn zum Tod verurteilten, war er bekanntgeworden.
    Romain Rolland hatte nicht das stille, zurückgezogene Leben eines Privatgelehrten geführt, sondern mit allerlei Gesindel, aber auch mit hochgestellten Leuten, verkehrt. Er nahm an Ausschweifungen teil und erwarb sich bald einen sehr üblen Ruf.
    In seinem großen alten Haus auf einem Hügel am Ufer der Mayenne wurden nachts Stimmen und unheimliche Laute gehört.
    Manchmal stank es nach Pech und Schwefel. Passanten wollten geisterhaftes Licht gesehen haben.
    Zamorra stellte ein paar Zwischenfragen. Ihm wurde rasch klar, daß Romain Rolland einen Teufels- und Hexereikult inszeniert hatte und Orgien und Schwarze Messen in seinem Haus feierte. Die Schwestern Lesanque hatten jahrelang bei ihm gewohnt und waren seine Geliebten und Helferinnen gewesen.
    Die zweite Hälfte des 18. Jahrhunderts war in Frankreich eine zügel- und sittenlose Zeit gewesen. An Romain Rollands Orgien nahmen auch hochgestellte Persönlichkeiten teil, um des Nervenkitzels willen. Rolland trieb es mit der Zeit immer toller. Das orgiastische Moment trat bei den von ihm inszenierten Ritualen immer mehr zurück, das dämonische trat in den Vordergrund.
    So wie Zamorra es verstand, hatte Romain Rolland irgendwann vor zwei Jahren die Grenze zwischen dem makabren Wüstling und Außenseiter und dem Hexer und Satanisten überschritten. Die Leute, die nur aus Neugier und um ihre Triebe zu befriedigen zu ihm gekommen waren, begannen ihn zu beneiden.
    Seine verschworenen Anhänger aber gerieten immer mehr in seine Abhängigkeit. In Angers und Umgebung wurde gemunkelt, aber noch wagte es niemand, etwas gegen Romain Rolland zu unternehmen. Er wußte zuviel, und er hätte einen gewaltigen Skandal verursachen können.
    »Romain Rolland erhielt ein paar Verwarnungen von der Obrigkeit«, sagte die alte Antoinette. »Aber er kümmerte sich nicht darum. Auf die Spitze trieb er alles, als er im Wald von Angers eine unheilige Kapelle erbaute. Dort feierte er mit dem kleinen Kreis seiner engsten Anhänger Schwarze Messen. Romain Rolland wollte selbst ein Dämon werden, und er verschrieb sich dem Satan.«
    Etwa um diese Zeit herum hatte der Baron die Anklagen gegen Romain Rolland nicht mehr länger ignoriert. Rolland machte sich öffentlich über ihn lustig und behauptete, bald werde er der Herrscher sein und den Baron wie einen Wurm im Staub zertreten.
    Er hatte außerdem den Fehler gemacht, sich mit den Schwestern Lesanque zu zerstreiten, mit Jeanne und Anette. Sie erboten sich, dem Baron als Zeugen zu dienen, und sie schwärzten Romain Rolland noch mehr an.
    Er wurde verhaftet und überraschend schnell abgeurteilt. Zuerst hatte er sich gesträubt wie ein Irrer. Aber dann wurde er merkwürdig gefaßt,
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