Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
005 - Der Griff aus dem Nichts

005 - Der Griff aus dem Nichts

Titel: 005 - Der Griff aus dem Nichts
Autoren: Dämonenkiller
Vom Netzwerk:
pochen.
    »Wie ist es, wenn man sich bewegen kann, mein Herr?« fragte Latimer. »Erzählen Sie es uns!«
    »Ja, wir hören!« erscholl der schaurige Chor der Unsichtbaren.
    Dorian wich instinktiv einen Schritt zurück und stieß gegen etwas – Lebendiges. Eine Hand erschien aus dem Nichts und tastete über seinen Körper, und eine der Stimmen sagte: »Er fühlt sich gut an. Es ist ein ganzer Mensch.«
    Das magische Leuchten um Latimer weitete sich aus und erfaßte ein weitverzweigtes System von dicken, blutführenden Adern und feinsten Gefäßen.
    »Er ist ein ganzer Mensch«, sagte der unheimliche Chor. »Und er ist frei und kann sich bewegen.«
    Das magische Leuchten erhellte den Raum, so daß Dorian einen besseren Überblick bekam und sehen konnte, wo er sich befand.
    Alles um ihn herum lebte.

    Der Boden unter Dorians Füßen war in ständiger Bewegung. Immer zuckte es irgendwo, hob oder senkte sich ein Teil, spannten sich Sehnen oder Muskeln. Vor Dorian türmten sich Berge von Muskeln, die mit einer glatten menschlichen Haut überzogen waren. Arme und Hände ragten daraus empor, Finger reckten sich mahnend, formten sich zu Symbolen der Taubstummensprache, liebkosten einander. Arme winkten ihm zu, wiegten und wanden sich wie Schlangen. Es waren kräftige Arme dabei, an denen dicke Adern und Muskelstränge hervortraten, aber ebenso dünne, schlanke, grazile und gepflegte Arme mit samtweicher Haut und unterschiedlichem Teint. Die Hautfarben reichten von wächserner Blässe über zartrosa und bräunlich bis zur Bronzefarbe der Mexikaner, dem Rot der Indianer und dem Ebenholzdunkel der Schwarzen. Glieder von Vertretern aller Rassen waren in den lebenden Boden eingepflanzt. Es war eine faszinierende, unheimliche Landschaft aus Menschenteilen; ein Teppich aus Muskeln und Sehnen, aus dem in unregelmäßigen Abständen Glieder herausragten. Dorian sah Teile von Rücken, die nahtlos in Becken übergingen, dazwischen lagen Muskelballungen, die von Armen und Beinen stammen mochten. Obwohl die Teile wahllos miteinander verbunden waren, bildete die pulsierende Landschaft eine homogene Einheit. Eines paßte zum anderen, alles gehörte zusammen. Es war ein riesiges Lebenskollektiv.
    Als Dorian einen Schritt nach vorne trat, um einer Hand zu entwischen, die nach ihm griff, spürte er, wie sich die Muskeln unter seinen Füßen erhärteten.
    Die Wände bestanden größtenteils aus freiliegenden, inneren Organen. Herzen schlugen, Lungen pumpten, dazwischen zogen Blutkreisläufe und Nervensysteme ihre verschlungenen und weitverzweigten Bahnen. Köpfe waren durch Röhrchen, Nervenstränge und Adern mit dem übrigen System verbunden. Sie besaßen eine gewisse Bewegungsfreiheit. Sie konnten sich nach links und rechts, nach oben und unten wenden, sie konnten den gesamten Raum überblicken, sofern sie Augen und nicht nur leere Höhlen besaßen. Auch aus anderen Körperteilen wuchsen Sinnesorgane. Armmuskeln hatten Ohren, und Lungenflügel hatten Münder – Münder, die nichts als Atem holen konnten. Manche der Köpfe hatten keine Gesichter und waren nur Behältnisse für die Gehirne. Dafür sah Dorian an anderen Kollektivteilen Mienenspiele, die an Gesichtszüge erinnerten. Sie hatten nichts Menschliches mehr an sich, es waren verzerrte Fratzen, deren Augen, Ohren, Nasen und Münder mit geometrischer Exaktheit an Brust- oder Rückenteilen angeordnet oder auch einfach zwischen Muskelgebilden eingebettet waren. Selbst die Decke war ein Kaleidoskop aus Organen. Dort pulsierte und zuckte es, entspannte und kontraktierte.
    Diesem gigantischen Lebewesen gehörte auch Ben Latimer an. Dorian schwindelte von den unfaßbaren Eindrücken.
    »Mein Herr, wie ist es möglich, daß Sie sich fortbewegen können und wir nicht?« fragte einer der unzähligen Münder.
    »Ja, wie ist das möglich?« stimmte der Chor mit ein.
    »Antworten Sie uns, mein Herr!«
    Dorian spürte, wie etwas an seinem Hosenbein zerrte. Er trat nach der Hand, die ihn erfaßt hatte und zerrte sich gewaltsam los.
    »Ja, antworten Sie uns!« erklang der Chor.
    »Er gehört nicht hierher«, rief ein Mund hinter Dorian.
    Er drehte sich um und sah das Gesicht eines wunderschönen Mädchens, das von kurzgeschnittenem schwarzem Haar umrahmt war.
    »Was sucht er hier?« riefen alle zusammen. »Ist er hier, um sich uns anzuschließen?«
    »Ich werde bis zuletzt um meine Freiheit kämpfen«, sagte er entschlossen. Er hatte kaum ausgesprochen, als er sah, daß das Lebenskollektiv in
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher