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0041 - Die Treppe ins Nichts

0041 - Die Treppe ins Nichts

Titel: 0041 - Die Treppe ins Nichts
Autoren: Franc Helgath
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Weg. Dann standen sie vor einer hoch aufragenden Felswand mit riesigen schwarz gähnenden Löchern darin, die wie die toten Augen eines skelettierten Schädels aus dem grauen Kalkstein starrten.
    Dort, wo das harte Gras nicht mehr wachsen konnte und nur mehr einige Ginsterbüsche ihre hartblättrigen Äste in die vor Hitze flirrende Luft streckten, tat sich die größte der Höhlen auf. Zumindest sah es so aus, als wäre sie die größte, denn auf beiden Seiten war die Öffnung mit Lehm zugemauert worden. Der Lehm war schmutzig gelb und von der Sonne festgebrannt. Es blieb ein rechteckiger Eingang frei, durch den ein Mann gerade noch aufrecht gehen konnte.
    »Iii«, sagte Nicole, »unser lieber Vincente hat sich aber eine sehr feudale Villa ausgesucht. Wie kann nur ein Mensch hier leben.«
    »Es ist nicht das Schloss de Montagne«, gab Professor Zamorra zu.
    Auch er rümpfte die Nase.
    Die Düfte, die aus der schmalen Öffnung drangen, erinnerten in keiner Weise an die Wohlgerüche des Orients. Für empfindliche Schleimhäute stank es sogar bestialisch.
    »Sie bleiben hier, Nicole«, sagte Professor Zamorra, und seine Sekretärin fügte sich gerne. Keine zehn Pferde hätten sie in diese Behausung gebracht. Ihre Neugier war verflogen.
    »Aber bleiben Sie nicht lange, Professor.«
    »Sie können in der Zwischenzeit einen schönen Strauß Bergblumen pflücken.«
    Dann trat Professor Zamorra ein. In den ersten Sekunden sah er gar nichts. Nach der gleißenden Helligkeit mussten sich seine Augen erst an das düstere Zwielicht gewöhnen. Nur allmählich nahm er seine Umgebung wahr.
    Die Höhle war nicht so groß, wie er angenommen hatte. Sie maß vielleicht sechs mal acht Meter, und sie war um die fünf Meter hoch.
    In einer Ecke ein primitives Strohlager, ein roh zusammengenagelter Tisch und darüber – jetzt wunderte sich Zamorra – drei Bretter mit Büchern darauf. Alles Mögliche hatte er hier erwartet, nur Bücher nicht.
    Er trat näher. Jetzt war sein Erstaunen vollkommen. Er entdeckte Werke von Lao-Tse, Schriften von Konfuzius und anderen fernöstlichen Lehrern. Sie standen friedlich vereint neben Kants Lehre vom kategorischen Imperativ und Nietzsches Zarathustra. Bertrand Rüssel war der einzig moderne Philosoph unter den Geisteswissenschaftlern.
    Jeder der Bände sah aus, als wäre er viele Male gelesen worden.
    Einige davon waren billige Paperback-Ausgaben.
    Im hinteren Teil der Höhle bewegte sich etwas. Zamorra fuhr herum.
    Er sah sich einem einarmigen Mann gegenüber, den er vorher nicht bemerkt hatte. Er musste sich weiter hinten, dort wo die Höhle sich verjüngte, versteckt gehalten haben, als er eintrat.
    Der Mann blieb stehen und machte keine Anstalten, näher zu kommen.
    »Sind Sie Vincente?«, fragte Professor Zamorra.
    »Si, Señor. Was wollen Sie hier?«
    Das klang unfreundlich. Vincente schien nicht zum Reden aufgelegt zu sein. Er reckte seinen Armstummel in Richtung des Eingangs.
    »Wollen Sie mein Heim nicht wieder verlassen?«
    »Heim« hatte er gesagt. Professor Zamorra graute es bei dem Gedanken, auch nur eine Nacht hier verbringen zu müssen.
    »Entschuldigen Sie«, sagte er schnell, »wenn ich einfach so zu Ihnen hereinplatze. Ich wollte Sie ganz gewiss nicht stören. Aber man hat sie mir als Verrückten geschildert. Und wenn einfache Menschen andere Leute als verrückt bezeichnen, dann kann das genauso bedeuten, dass sie eben nur über den Durchschnitt hinausragen, und dass sie in die doch recht grob gestrickten Schablonen dieser Leute nicht hineinpassen. Sie haben sehr interessante Lektüre auf Ihrem Bord.«
    »Glauben Sie?« Die Stimme des Mannes klang schon wesentlich interessierter. Der Armstrunk sank herab. »Verstehen Sie denn etwas davon?«
    »Ich denke schon. All diese Bücher habe ich auch gelesen. Und noch einige mehr. Aber was bringt einen Mann wie Sie dazu, sich abzusondern?«
    Der Einarmige trat jetzt noch weiter vor. Er geriet dabei in den schmalen Lichtbalken, der vom Eingang hereinfiel.
    Seine Haut war blass, wie die eines Toten. Vincente war so dürr, dass er aussah, als wäre seine Haut nur über sein Knochengerüst gezogen worden.
    Zamorra fiel auf, dass sein Gesicht bartlos war. Um die eckigen Schultern flatterte ein zerschlissenes Hemd von unbestimmbarer Farbe. Die Hosen waren viel zu kurz, und die Füße steckten in selbst gefertigten Sandalen. Lederriemen hielten sie an den dünnen Waden fest.
    Nur die Augen schienen in diesem Gesicht zu leben. Und diese Augen blickten
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