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0034 - Das Teufelsauge

0034 - Das Teufelsauge

Titel: 0034 - Das Teufelsauge
Autoren: Dieter Saupe
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einen gespenstischen Ausdruck.
    »Steh auf, Mädchen«, rief La Zanuga wieder aus. Das Mädchen stöhnte und erhob sich langsam.
    »Nun dreh dich, Marghita«, rief die Zigeunerin. »So ist doch dein Name?«
    Das Mädchen nickte und wollte sich die Ohren zuhalten, als die Zigeunerin begann, einen hektischen Tanz auf ihrer Geige zu intonieren.
    »Dreh dich, Marghita«, rief die Alte und ließ den Fidelbogen immer schneller über die Saiten springen.
    Und die Füße des Mädchens wurden mit den Bewegungen des Geigenbogens ebenfalls schneller.
    »Hast Blut getrunken von dem alten Mann«, krächzte die Stimme La Zanugas. »Hast altes Blut in dir. Hast süßes, junges Blut in dir. Hat dir geschmeckt das Blut vom alten Mann, nicht wahr?«
    »Ich weiß es nicht«, stöhnte das Mädchen und drehte sich weiter im Tanz. Die Melodie der Zigeunerin hatte etwas Zwingendes, dem sich das junge Mädchen nicht entziehen konnte. Sie drehte sich, sie kreiselte auf der Stelle, und ihre Bewegungen wurden immer wilder und ekstatischer.
    Heiß glühten die Wangen des Mädchens Marghita. Die junge Krankenschwester wußte nicht, wen sie vor sich hatte. Sie spürte nur, wie die Melodie ihr quälend ins Blut drang, sie im Wirbel herumriß und immer neue Kreise drehen ließ. Das Kleid flatterte im Wind.
    Das Feuer war vollkommen verloschen. Aber die Hitze des Tanzes machte das Mädchen glauben, daß sie noch immer vor der Flammenwand stand und sich drehte, und wieder starr war, und wieder in neue Wirbel von Musik und Bewegung gerissen wurde.
    Nein, Marghita wußte nicht, was sie getan hatte. Sie hatte nur diese zwingenden Melodien der alten Zigeunerin im Ohr und im Blut.
    Und tanzte weiter, bis sie vor Schwäche fast umfiel.
    »Gut, Mädchen«, krächzte die Zigeunerin wieder. »Gut, Mädchen Marghita. Hast Blut getrunken. Hast La Zanugas Lied gehört. Hörst jetzt das Lied vom Teufelsauge, mit dem die alte Zigeunerin schon vor hundert Jahren die Vampire von Ibiza getötet hat. Meinst wohl, La Zanuga ist noch nicht so alt? Zanuga weiß selbst nicht, wieviel Jahre sie schon lebt. Sind mehr als hundert Jahre, viel mehr. Nun tanz, Mädchen tanz. Ich treibe dir die Blutlust aus. Wirst stampfen den Takt wie La Zanuga. Wirst es dröhnen hören in deinen Ohren. Hörst du es dröhnen?«
    »Ja«, sagte das Mädchen atemlos von der Anstrengung ihrer wirbelnden Bewegungen.
    Und die Alte trieb sie zu immer höherem Tempo an.
    Der Fidelbogen huschte über die Saiten, kratzte die harten Därme an, ließ das Holz der Geige abwechselnd weinen und lachen, jauchzen und kreischen.
    »Spürst den Takt in den Beinen, Marghita?« fragte die Alte.
    »Ja«, sagte das Mädchen.
    »Spür nur weiter, Mädchen!« schrie die Alte. »Wirst den Takt hö- ren in den Beinen und deinen Füßen. Wirst das Lied hören in deinen Ohren. Sollst es hören und spüren mit deinem ganzen Leib, bis dein Körper nur noch Schwäche und Schweiß ist. Das treibt dir die Blutlust aus. Wirst stampfen und singen, sollst jammern und dich drehen, bis dir das Blut aus den Schuhen tropft. Hast Blut getrunken und wirst nie wieder Blut trinken, denn La Zanuga treibt es dir aus, Mädchen. Gegen die Zigeunerin hast du keine Macht. Gegen sie nicht, und nicht gegen ihr Lied vom Teufelsauge. Dreh dich, Marghita. Dreh dich, du hast nicht viel Zeit. Das Blut muß heraus aus deinen Adern. Das Blut des fremden Mannes, das du getrunken und in dir hast.«
    Es dauerte nicht mehr lange, bis Marghita vollkommen erschöpft war. Sie sah nach oben, und der Himmel drehte sich mit ihr.
    Sie sah auf den Erdboden, und unter ihr drehte sich mit ihren Bewegungen die Erde.
    Die ganze Welt schien zu treiben und zu kreiseln. Und in Marghitas Ohren begann der Schmerz zu hämmern. Der Schmerz über diese Peinigung aus Zigeunerworten und dieser unaufhörlichen Melodie, wie das Mädchen niemals eine unheimlichere gehört hatte.
    Dann brach das Mädchen zusammen.
    La Zanuga langte in die tiefe Tasche ihres langen, schwingenden Rocks aus grobem Leinen. Sie brachte eine Flasche zum Vorschein.
    Eine Tinktur war darin, wie nur die Alte und ihre Sippe sie kannten.
    Dann trat die Alte zu dem Mädchen hin und beugte sich zu ihm hinunter.
    »Trink, Mädchen«, sagte sie und hielt Marghita die Flüssigkeit in der Flasche hin.
    »Was… was ist das?« fragte Marghita.
    »Ist guter Saft fürs Leben, Mädchen. Ist neue Kraft. Hast Blut getrunken, hast es herausgetanzt. Hast selber junges, süßes Blut. Mußt dein Blut jung halten, Mädchen.
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