Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
003 - Der Totentanz

003 - Der Totentanz

Titel: 003 - Der Totentanz
Autoren: Alphonse Brutsche
Vom Netzwerk:
hörte er sich das überhaupt an? Die Erwähnung der Auferstehung war anmaßend, fand er. Aber sicher meinte er es nicht böse. Er war eben ein bisschen sonderbar.
    »Ja, ich habe mir gedacht, dass es gehen würde«, fuhr Bornimus fort. »Der Bruder war erst seit acht Monaten tot. Die Soma-Körner waren noch frisch genug. Es bedurfte nur einer Kleinigkeit.« Der Alte verstummte.
    Er wandte sich der Mauer zu. Einen Moment lang glaubte Pierre einen leuchtenden Strahl aus seinen blauen Augen kommen zu sehen, doch sicher täuschte er sich. Zu seiner Überraschung bemerkte er jetzt eine kleine hölzerne Tür in der Mauer. Anscheinend besaß Bornimus einen Schlüssel dazu, denn sie öffnete sich quietschend. Der Alte ging hindurch und bedeutete Pierre, ihm zu folgen. Er musste sich bücken, um sich nicht den Kopf anzustoßen.
    Die enge Straße, die an dieser Seite des Friedhofs entlang führte, lag verlassen da. Bornimus wandte sich der Tür zu, und Pierre hörte deutlich, wie ein Schlüssel im Schloss umgedreht wurde. Dann wandte sich ihm der alte Mann erneut zu.
    »Heute war es noch zu früh«, sagte Bornimus. »Aber morgen … Na Sie werden ja sehen.«
    Er hob belehrend den Finger, dann fuhr er fort: »Morgen wird die Auferstehung vor sich gehen. Dominique Flandrin, achtundvierzig Jahre alt, begraben seit dem 16. März dieses Jahres, wird seinen Sarg verlassen, die Erde durchstoßen, die ihn gefangen hält, und aufs neue seinen Platz unter den Menschen einnehmen.«
    Unwillkürlich schüttelte Pierre Merlin den Kopf. Im Licht der hellen Straßenlaterne erkannte er den alten Bornimus als das, was er sicher war: eine Mischung zwischen einem Verrückten und einem Vagabunden. Sogar das erstaunliche Leuchten seiner blauen Augen war jetzt nicht mehr so auffällig.
    Pierre überlegte, wie er den alten Mann am besten loswurde. Er wich seinem Blick aus, und dabei bemerkte er wieder den Anhänger an der Kette. Es war ein Gesicht mit leicht asiatischen Zügen, das von einer seltsamen Kopfbedeckung gekrönt war.
    »Das interessiert Sie, was?« sagte Bornimus. »Sein Name ist Wiwanwat. Er hat mir seine Macht übertragen.« Pierre nickte desinteressiert. Er hatte noch nie von einer Gestalt dieses Namens gehört.
    »Ich muss jetzt gehen«, sagte er bestimmt.
    »Aber Sie kommen doch morgen wieder? Morgen Abend, um dieselbe Zeit. Um die Auferstehung mitzuerleben. Dann werden Sie überzeugt sein. Ja, ich weiß. Sie kommen. Sie sind ja ohnehin fast jeden Abend hier. Ich erwarte Sie. Das Grab ist etwa zwanzig Meter links von dem Ihren.«
    »Ich weiß nicht, ob ich morgen Abend Zeit habe«, erwiderte Pierre, ohne den Alten anzusehen.
    »Natürlich haben Sie Zeit. Und dann werden Sie mich bitten, dasselbe für Ihre liebe Christine zu tun, davon bin ich überzeugt. Für Sie mache ich es besonders billig. Sie geben mir zweitausend Francs, wenn Sie es bestellen, und zweitausend Francs, wenn es erledigt ist. Das ist doch wirklich kein großer Betrag, nicht wahr?«
    Diese Worte ernüchterten Pierre restlos. So war das also. Der Zweck dieses ganzen Unsinns war, Leichtgläubigen das Geld aus der Tasche zu locken. Und gleich eine solche Summe! Gab es wirklich jemanden, der vom Leid so verwirrt war, dass er diesem Scharlatan soviel Geld gab?
    »Vielen Dank«, sagte er kühl, »aber Sie verlieren nur Ihre Zeit. Auf Wiedersehen.«
    Er drehte sich um und ging mit raschen, wiegenden Schritten davon.
    »Sie kommen bestimmt morgen«, rief ihm Bornimus nach. »Ich erwarte Sie.«
    Nach ein paar Schritten drehte Pierre sich noch einmal um. Die Straße war leer.
    Vermutlich hatte der Alte die Tür wieder geöffnet und war auf den Friedhof zurückgekehrt.
    Eigentlich war es eine Frechheit, dass dieser alte Landstreicher Friedhofsbesucher belästigte. Pierre nahm sich vor, darüber mit dem Wächter zu sprechen.
     

     

Pierre Merlin brauchte eine Dreiviertelstunde für den Heimweg. Er ging gern zu Fuß. Früher hatte er einen Wagen besessen, aber nach Christines Tod hatte er ihn verkauft.
    Er musste immer wieder an die Begegnung mit dem Alten denken, der behauptete, Tote zum Leben erwecken zu können. Natürlich war das Unsinn. So etwas gab es nicht. Noch dazu in unserer Zeit, Gewiss, es gab Legenden, die so etwas behaupteten, aber das waren eben nur Legenden.
    Die Toten kommen nicht zurück.
    Um daran zu glauben, musste man verrückt sein, es war geradezu verbrecherisch, damit von anderen Leuten Geld erschwindeln zu wollen.
    Jetzt hatte Pierre Merlin den Platz
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher