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003 - Der Totentanz

003 - Der Totentanz

Titel: 003 - Der Totentanz
Autoren: Alphonse Brutsche
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Pierre«, ließ er Christine sagen. »Danke, mir geht es gut. Wie lieb, dass du trotz des schlechten Wetters gekommen bist.«
    »Frierst du nicht, mein Schatz? Hier ist es so kalt.«
    »Nein, ich friere nicht. Dort wo ich bin, ist einem weder kalt noch warm. Man fühlt sich wohl. Alles ist Ruhe und Frieden.«
    Merlin schloss die Augen. Wenn er früher aus dem Büro nach Hause gekommen war, hatte er Christine am Herd oder mit einer Näharbeit beschäftigt vorgefunden. Dann war ihre Unterhaltung auch nicht viel anders verlaufen.
    Er spürte, wie ihm die Tränen in die Augen traten. Aber er konnte nicht weinen. Sein Kummer war zu groß. Auch Tränen brachten keine Erlösung für ihn.
    Dabei war ihre Liebe nicht einmal besonders leidenschaftlich gewesen. Pierre hatte Christine geheiratet, als er schon fast dreißig und sie vierunddreißig war. Es war zwar keine Vernunftehe gewesen, aber noch weniger hatte sie unbezähmbare Leidenschaft einander in die Arme getrieben. Sie hatten geheiratet, weil sie sich kennen gelernt und sympathisch gefunden hatten und eine Ehe ihnen ganz natürlich schien. Pierre hatte zuvor nur wenig mit Frauen zu tun gehabt. Christine war zwei Jahre vorher geschieden worden. Sie hatten sich rasch aneinander gewöhnt, und es war eine sehr harmonische Ehe gewesen.
    Und nun war er wieder allein, so schrecklich allein.
    Oft schon hatte er auch gedacht: Wenn Christine doch zurückkäme …
    Aber die Toten kehren nicht zurück.
    Er hatte auch gedacht: Wenn ich nur zu ihr könnte.
    Aber wie sollte ein Lebender zu den Toten gelangen? Der Gedanke, Selbstmord zu begehen, war Merlin nicht gekommen. Er lag seiner schlichten, gradlinigen Natur allzu fern. Er musste eben mit der Bürde der Einsamkeit leben. Das schien der einzige Weg, den es für ihn gab.
    »Ich werde dir wieder einmal ein paar Blumen mitbringen«, sagte er zu Christine. »Rosen vielleicht. Die magst du doch.«
    Obwohl Merlin die Schrift auf dem Grabstein nicht sehen konnte, wusste er doch genau, was darauf geschrieben stand. Cyrille Cussac war ein Verwandter seiner Frau, den er nicht gekannt hatte. Dann kam der Name von Christines Mutter, Caroline Ferrier, eine sympathische lebhafte kleine Frau, die nach kurzer Krankheit gestorben war, als Pierre und Christine gerade geheiratet hatten. Danach war Jean-Paul Ferrier aus dem Leben geschieden, Christines Vater.
    Der vierte Name war der von Antoine Merlin.
    Im zarten Alter von drei Jahren hatte ihn der Tod hinweggerafft, ihren kleinen Sohn. Er war ein kränkliches, schwaches Kind gewesen.
    Und der letzte Name war der von Christine.
    In den zehn Jahren ihrer Ehe waren sie oft und gern zum Friedhof gegangen. Der Tod war ein wichtiger Bestandteil ihres Lebens gewesen.
    Drei Glockentöne erklangen vom Kirchturm. Viertel vor sieben. Länger blieb Pierre nur selten. Er hatte einen weiten Heimweg vor sich. Doch heute konnte er sich noch nicht von Christines Grab trennen. Irgendetwas hielt ihn zurück. Er wusste es selbst nicht, was.
    Am 17. November des vergangenen Jahres war Christine gestorben. Heute war der 3. November. Jetzt war es also fast ein Jahr her.
    Plötzlich hörte er Stimmen.
    Sie schienen ziemlich weit entfernt. Unwillkürlich lauschte er. Wer unterhielt sich dort wohl in der Finsternis zu einem Zeitpunkt, zu dem kaum noch jemand den Friedhof aufsuchte?
    Wieder hörte er die Stimmen. Mal schienen sie näher zu sein, dann wieder weiter entfernt. Es war so dunkel, dass Pierre die Sprechenden nicht sehen konnte. Er war neugierig. In der Nähe von Christines Grab hatte er noch nie irgendwelche anderen Leidtragenden gesehen.
    »Aber wann?« sagte jetzt die eine Stimme.
    »In ein, zwei Tagen. Ich muss nur … (die nächsten Worte verstand Merlin nicht) … Wirkung tun.«
    Das war die andere Stimme.
    Es unterhielten sich also zwei Männer nicht weit von ihm entfernt. Für eine Konversation war das allerdings nicht der geeignete Ort.
    »Bezahlen müssen Sie aber gleich, denn …«
    »… zweitausend Francs muss …«
    Den Rest der Worte trieb der Wind davon. Dann war nichts mehr zu hören. Pierre versuchte, mit dem Blick die Finsternis zu durchdringen, aber er konnte die Sprecher nicht sehen.
    Die seltsame Unterhaltung, die er bruchstückweise mit angehört hatte, beschäftigte ihn mehr als er sich eingestehen wollte. Worüber mochten sich die beiden Männer unterhalten haben? Vermutlich handelte es sich um jemanden, der einen Grabstein bestellt hatte und mit dem Handwerker ans Grab gekommen war. Geld
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