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Zwischen Wind und Wetter

Zwischen Wind und Wetter

Titel: Zwischen Wind und Wetter
Autoren: Ulrich Straeter
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wir
gestern noch glaubten, der ‘Riverside Walk’, sondern das Wasserkraftwerk bei
Ardnacrusha in Verbindung mit dem Wehr bei O’Brians Bridge. Die Wirtin des
Campingplatzes, die Leute im Laden, in der Kneipe: alle hatten uns gestern
schon begeistert von der Firma Siemens erzählt. The Germans! Was war geschehen?
Ende der zwanziger, Anfang der dreißiger Jahre beschloß man, die Kräfte des
Shannon zur Stromgewinnung zu nutzen. Es gab eine internationale Ausschreibung,
die Siemens mit der Zusage gewann, die Anlage innerhalb von fünf Jahren
fertigzustellen.
    Und wie die
Deutschen nun einmal sind (bei den Iren schwingt da keinerlei Ironie mit), sie
schafften es. Preiswert und schnell. Die vier Turbinen arbeiten heute noch
problemlos, die Stadt Limerick deckt einen großen Teil ihres Strombedarfs
damit.
    Nur die
Lachse bekamen Schwierigkeiten. Es wurde eine Treppe für sie in den Fluß
gebaut, die ihnen nicht so gefiel, wie es sich Iren und Angler wünschten. Ein
klassischer Konflikt für die Iren, der ihren Stolz auf das
deutsches Kraftwerk bis heute nicht gemindert hat.
     
    Wir
spazieren auf den Deichen entlang, allerdings nicht allein. Schafe, Ziegen,
große Ziegenböcke mit geschwungenen Hörnern, die uns gar nicht geheuer sind,
und ein Cocker Spaniel umgeben und begleiten uns. Daß uns der Hund großen
Schutz bieten könnte, erweist sich als Irrtum. Er scheint auf dem Weg ins
nächste Dorf zu sein, hat eine Heidenangst vor Schafen, Ziegen und vor allem
vor anderen Hunden. Wie sich herausstellt, hat er sich uns zu seinem Schutz
auserkoren! Er kennt den Weg genau, das freut uns. Zumeist verbirgt er sich
zwischen unseren Beinen, um sich zu verstecken, wir kommen kaum voran.
    Seitlich der
Wasserwege breiten sich Wiesen und Felder aus, umrahmt von den fernen
dunkelblauen Bergen des Slieve Bermagh. Enten rudern eifrig über den Fluß,
Gänse fliegen auf, auch Schwäne (hörst du das Sirren der Flügel der Schwäne?).
Krähen gehören wie selbstverständlich zum Bild (crows oder wie sie laut Fachlexikon
heißen: die Familie der corviden); einige Möwen lassen ihre Schreie ertönen.
Bachstelzen sind dabei, Mücken zu fangen; einen Kuckuck hören wir, die
Blackbirds und andere Singvögel. Das Wasserhuhn nicht zu vergessen — es ist
gerade abgetaucht.
    Auch Angler
sind da, natürlich. Doch den Hecht soll man schützen; dreisprachig mahnt ein
Schild: Bitte den gefangenen Fisch wieder ins Wasser werfen. Thank you, the
Council.
    Kurz vor dem
nächsten Ort kehren wir um. Dank unseres Leithundes, der brav mitkommt, gelangen
wir sicher und heil wieder in unser Dorf zurück. Bevor es anfängt zu regnen,
gelingt es Ilse, ihre ersten beiden Aquarelle zu malen: Die Kneipe ‘Ryan’s Inn’
und die Fassade der Metzgerei. Vor Ryan’s Inn ist es lebhaft, Leute laufen
hinein und heraus, Bier wird geliefert, Gesprächsfetzen fliegen. Ob wir heute abend dort einmal den Zapfhahn prüfen?
     
    Der Shannon,
Irlands größter Fluß, entspringt weit oben im Norden bei Glengevlin. Seine
große Mündung im Südwesten - Mouth of the Shannon — werden wir noch überqeren.
    Die Quelle,
the Shannon Pot, eine Art Quelltopf in den
    Cuilcagh-Bergen,
hieß bei den Kelten Connla’s Well. Und es geht die Sage, daß hier der Lachs der
Weisheit gelebt haben soll. Eine Weisheit der Kunst und Poesie, die in der
Tradition der Barden fortlebte und allen katholischen Einflüssen bis heute
trotzt. Aber — die Weisheit erhält einen Knacks — nur Männer durften sich
dieser Stelle und dem weisen Lachs nähern, um Rat und Antwort vom nordischen
Orakel zu holen.
    Doch Sinnan,
die Tochter des Meeresgottes, hatte keine Angst vor Strafe und keinen Respekt
vor reiner Männerweisheit. Frechweg — diese Keltinnen! — trat sie an den Rand
des Quelltopfes und forderte den großen Lachs heraus. Die weibliche Erscheinung
am Teichrand muß die Weisheit des Lachses völlig überfordert haben, denn voller
Wut griff er zur Gewalt, peitschte mit seinem Schwanz das Wasser derart, daß
eine gewaltige Woge entstand, die alles mit sich riß und das Land
überschwemmte. Die Angst der Götter vor den Frauen muß so groß gewesen sein,
daß sie, den drohenden Macht-und Respektverlust vor Augen, selbst vor Mord und
Vertreibung nicht zurückschreckten.
    Sinnan, des
Meeresgottes Töchterlein, mußte in den Wellen sterben, der große weise Lachs
selbst wurde in das große weite Meer hinausgetrieben. Erst am Ende seines
Lebens gelang es ihm, in den Fluß zurückzukehren
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