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Zwischen sieben und zwölf Uhr

Titel: Zwischen sieben und zwölf Uhr
Autoren: Anne Katherine Green
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die Möglichkeit zu verschaffen, ungehindert die Straße zu erreichen. Das war mir alles bereits zum Bewußtsein gekommen, noch ehe ich bemerkte, daß ihre schwächliche, gebrechliche Gestalt den engen Durchgang oben an der Treppe ausfüllte, wodurch es einiger Rücksichtslosigkeit meinerseits bedurfte, um an ihr vorbeizukommen. Doch auf einige Rücksichtslosigkeit, selbst gegenüber einer bejahrten, gebrechlichen Dame, kam es in einer solchen Notlage nicht an. Fünfundzwanzigtausend Dollars entschlüpften aller Wahrscheinlichkeit nach meinem Griff, nicht zu reden von meinem Ruf als schlauer, nicht leicht zu überlistender Polizeibeamter. Wie? Verließen jetzt auf diesem Wege die Juwelen das Haus, oder waren sie bereits, meiner früheren Anschauung gemäß, durch Herrn Sutton hinausbefördert worden? Eines war ebenso möglich, wie das andere, oder am Ende, wie ich mir sagte, ehe ich den ersten Treppenabsatz zur Hälfte hinab war, auch keines von beiden! Daß erst er und nun auch sie fortgingen, konnte ebensogut eine List sein, um die Aufmerksamkeit von dem Haus und dem wirklichen Hehler der kostbaren Steine abzulenken. Einen Augenblick innehaltend, schaute ich nach der Stelle zurück, wo die alte Dame stand, noch wankend von dem Puff, den ich ihr in meinem Drang, an ihr vorbeizukommen, hatte versetzen müssen. Da stand sie noch, aber der Blick, mit dem sie mir nachschaute, drückte eine nur schlecht verhehlte Befriedigung aus, und obwohl sie sich bei meinem ersten Blick zurückzog, hatte ich doch noch Zeit, wahrzunehmen, daß sich ein Lächeln in ihre Mundwinkel geschlichen hatte, das meinen ferneren Absichten, über die ich mir noch nicht klar war, nur geringen Erfolg in Aussicht stellte.
    Inzwischen hatte Philippa den Drücker der Haustür erfaßt und würde sich im nächsten Augenblick außerhalb des Hauses befunden haben, hätte sie nicht Halt gemacht, um nach dem Huthaken zu schauen, wie ich vermutete, in der wohlüberlegten Absicht, mich an ihrer Verfolgung durch Aneignung meines Hutes zu hindern, falls er dort gehangen hätte. Allein glücklicherweise hatte ich ihn mit in das Empfangszimmer genommen; so brauchte sie sich kaum einen Augenblick damit aufzuhalten. Ehe ich den unteren Treppenabsatz recht erreicht hatte,hörte ich die Haustür schließen, und damit war ich auch plötzlich vor die Entscheidung gestellt, ob ich ihr folgen und so das Haus und damit vielleicht gerade die Juwelen, die ich wieder bekommen wollte, im Stich lassen, oder ob ich sie ungehindert ihres Weges ziehen lassen sollte.
    Der Gedanke an Herrn Winchester gab mir augenblicklich die entscheidende Richtung.
    Wenn mir die Steine entgingen, indem ich Philippa verfolgte, so würde ich höchstens meine Belohnung und einiges an meinem dienstlichen Ansehen einbüßen; entgingen sie mir dagegen dadurch, daß ich ihr nicht folgte, so hatte Herr Winchester das Recht, mir offenbare Mißachtung seiner Weisungen zum Vorwurf zu machen. Denn er hatte mir ja gesagt: »Geben Sie acht, wer auf Ihre Ankündigung einer Haussuchung das Haus zuerst zu verlassen sucht, und lassen Sie den verfolgen, denn der wird die Steine bei sich haben!« Freilich war Herr Sutton schon draußen und wurde verfolgt, allein wenn noch ein Dutzend nach ihm ebenfalls das Haus verließen, besonders nachdem sie diese Ausflucht ergriffen hatten, um der Verfolgung zu entgehen, war es dann nicht meine Pflicht, zu sehen, daß sie gleichfalls verfolgt wurden, und zwar mit der gleichen Aufmerksamkeit und Umsicht, wie iches beim ersten für erforderlich gehalten hatte? Darüber konnte kein Zweifel bestehen; so schlug ich alle anderweitigen Erwägungen in den Wind und machte mich an die Verfolgung dieses davonhuschenden Schattens, indem ich die Haustür hinter mir zuzog, in der Erwartung, daß mein erster Blick die Straße abwärts mir zeigen würde, in welcher Richtung sie gegangen war.
    Aber weder ab- noch aufwärts vermochten meine Blicke etwas von Philippa zu entdecken, und aufs neue beunruhigt, durch meine erste Besorgnis möglicherweise mehr unternommen zu haben, als ich auszuführen vermochte, flog ich nach der Ecke – es war an der Madison-Avenue –, und wie ich hier in aller Eile um mich spähte, entdeckte ich in dem Häuserviertel abwärts eine schlanke, zarte, weibliche Gestalt. Kaum hatte ich sie als die ihrige erkannt, als sie in einem Pferdebahnwagen verschwand und davonfuhr, ehe ich Zeit hatte, dem Schaffner, der ihr beim Einsteigen behilflich gewesen, ein kräftiges Halt
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