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Zusammenarbeit - was unsere Gesellschaft zusammenhält

Zusammenarbeit - was unsere Gesellschaft zusammenhält

Titel: Zusammenarbeit - was unsere Gesellschaft zusammenhält Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sennett Richard
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Betreffende sich seiner selbst sehr – allzu sehr – bewusst ist. Es trifft auch zu, dass die Briten sich gerne als weniger konkurrenzorientiert empfinden als die Amerikaner. Nach meiner Erfahrung waren sie keineswegs weniger ehrgeizig, aber sie zeigten es nicht so deutlich. Das sorgte bei den Proben für eine gute Kooperation und erleichterte die Konversation im Pub.
    Als ich Sozialforscher wurde, rückte der Konjunktiv beim Nachdenken über zwischenmenschliche Beziehungen stärker in mein Blickfeld. Diplomaten müssen den Konjunktiv beherrschen, wenn sie untereinander Verhandlungen führen, um einen Krieg zu verhindern. Auch im Geschäftsleben und bei alltäglichen Sozialkontakten sind »vielleicht« und »ich könnte mir vorstellen« wirksame Mittel gegen paralysierende Standpunkte. Der Konjunktiv bekämpft Bernard Williams’ Furcht vor dem Behauptungsfetischismus, weil er im Verhältnis der Beteiligten einen unbestimmten Raum eröffnet, in dem Fremde sich gemeinsam aufhalten können, ob es sich nun um Immigranten und Einheimische in ein und derselben Stadt oder um Schwule und Heterosexuelle in derselben Straße handelt. Die soziale Maschine ist gut geschmiert, wenn die Menschen nicht zu viel Empathie zeigen.
    Am ehesten ist der Konjunktiv im dialogischen Bereich zu Hause, in jener Gesprächswelt, die einen offenen sozialen Raum bildet, in dem Diskussionen eine unvorhergesehene Richtung nehmen können. Die Stärke des dialogischen Gesprächs liegt, wie erwähnt, in der Empathie, in der Neugier darauf, was andere Menschen für sich genommen sein mögen. Das ist ein kühleres Gefühl als die oft augenblickliche Identifikation, die sich in der Sympathie findet, aber der Lohn der Empathie ist keineswegs kalt. Auf indirektem Wege, durch ein im Konjunktiv geführtes Gespräch, können wir eine bestimmte Art von geselligem Vergnügen empfinden, nämlich mit anderen Menschen zusammen zu sein, ohne dass wir uns zwingen müssten, wie sie zu sein.
    Ganz sicher ist es dieses Vergnügen, das mir die ethnographische Feldforschung bereitet. Man geht hinaus und trifft Menschen, die anders sind als man selbst. Das Vergnügen eines entspannten Gesprächs, einer zwanglosen Unterhaltung weckt wie ein Spaziergang eine unbekannte Straße hinunter den Ethnographen in uns allen. Darin liegt ein gewisser Voyeurismus, doch vielleicht ist das eine allzu negative Bezeichnung. Das Leben wäre unerträglich eng, wenn wir nur über Menschen Bescheid wüssten, mit denen uns eine intime Bekanntschaft verbindet. Wie genaues Hinsehen, so erfordert auch ein zwangloses Gespräch gewisse Fertigkeiten, damit es zu einer bedeutungsvollen Begegnung wird. Durch die disziplinierte Vermeidung allzu selbstbewussten Auftretens schaffen wir einen Raum, in dem wir Einblick in das Leben anderer Menschen gewinnen können, wie auch sie Einblick in unser Leben erhalten.
    Das Gespräch gleicht der Probe, in der die Fähigkeit des Zuhörens solche Bedeutung besitzt. Gutes Zuhören ist eine interpretierende Tätigkeit, die am besten gelingt, wenn man sich auf die Eigenheiten des Gehörten konzentriert, etwa wenn man daraus zu erschließen versucht, von welchen Annahmen der andere ausgeht, auch wenn er sie nicht explizit benennt. Das dialektische und das dialogische Vorgehen sind zwei Möglichkeiten zur Gestaltung eines Gesprächs, im einen Fall durch ein Spiel von Gegensätzen, das zu einer Übereinstimmung führt, im anderen durch einen ergebnisoffenen Austausch von Ansichten und Erfahrungen. Wenn wir gut zuhören, können wir Sympathie oder Empathie empfinden. Beides sind kooperative Impulse. Sympathie ist das stärkere, Empathie das kühlere, aber auch anspruchsvollere Gefühl, denn sie verlangt, dass wir unsere Aufmerksamkeit ganz nach außen verlagern. Im dialogischen Gespräch passen die Beteiligten nicht wie Puzzleteile genau zusammen, können aber beide aus ihrem Austausch Erkenntnisse und Vergnügen ziehen. Ausdrücke wie »vielleicht« erleichtern im Gespräch die Kooperation. Solche Gesprächsfertigkeiten scheinen weit von dem Sandkasten entfernt zu sein, in dem Kleinkinder miteinander spielen. Es gibt jedoch einen Zusammenhang. In den frühesten Entwicklungsphasen lernen Kinder, Kooperation zu erproben und deren verschiedene Formen zu erkunden. Am Ende ordnen Gespräche unter Erwachsenen diese Möglichkeiten dann zwei unterschiedlichen Grundformen zu.
    Die moderne Gesellschaft ist in der Organisation der ersten Grundform, der Kommunikation durch

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