Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Zuckermond

Zuckermond

Titel: Zuckermond
Autoren: Astrid Martini
Vom Netzwerk:
bedingungslos geliebt zu werden. Um die Liebe ihrer Eltern zu spüren tat sie alles, was von ihr erwartet wurde. Sie verdrängte sogar ihre künstlerischen Neigungen, weil jemand der „nur“ malte ja nichts Besonderes war. Denn aus der Sicht ihrer Eltern war dies eine unverantwortliche Ablenkung von den Zielen, die sie sich für ihre Tochter gesteckt hatten. Irgendwann wurde es ihr dann doch zu viel und das, was sie dann getan hatte, war wahrhaftig kein Drama, sondern eine normale pubertäre Reaktion auf die Regeln der Eltern. Doch für ihre Eltern war es sozusagen der Untergang ihrer kleinen, ach so heilen Welt. Helena ging ins Kino und in die Disco, statt zu pauken. Befasste sich mit Kunst, statt mit wissenschaftlichen Themen und Medizin. Suchte sich ihre Freundinnen selbst aus. Verabredete sich sogar mit dem Sohn ihres Kindermädchens. Und das nicht etwa, weil sie ein gutes Gesprächsthema hatten, nein, sie besaß doch tatsächlich die Frechheit, romantische Gefühle für diesen „Taugenichts“ zu entdecken. Nicht auszudenken! Welch ein Skandal für die Familie Denhoven! Und das Ende vom Lied: Helena wurde von ihren Eltern von einem Psychologen zum anderen komplimentiert, bis sie schließlich einen „passenden“ gefunden hatten. Er war ein Mann ganz nach dem Herzen ihrer Eltern und schlug in dieselbe Kerbe wie Vater und Mutter – er appellierte auf energische Art und Weise an ihren Anstand und ihr Gewissen. Helena kam sich vor wie eine Schwerverbrecherin, als er mit ernster Miene über ihr „abweichendes Verhalten“ sprach und ihr zusätzlich aufs Übelste ins Gewissen redete, so dass sie sich in den nächsten Jahren nicht wagte, auch nur ein winziges bisschen aus der Reihe zu tanzen. Stattdessen fügte sie sich erneut komplett den Wünschen ihrer Eltern. Helena seufzte bei diesen Erinnerungen. Und dankte Gott dafür, dass sie es letztendlich – in gewisser Hinsicht – doch geschafft hatte, sich zumindest ansatzweise aus den dominanten Klauen der Eltern zu lösen, indem sie von zu Hause auszog und einen beruflichen Weg einschlug, der vollkommen von den Vorstellungen ihrer Eltern abwich. Und was war der Preis? Ein ständig präsentes Schuldgefühl und nicht enden wollenden Vorhaltungen und Vorwürfe ihrer Eltern. Helena saß noch eine ganze Weile einfach so da und hing ihren Gedanken nach, während ihr vereinzelt Tränen das Gesicht hinabliefen. Es waren Tränen der Trauer, aber in ihnen schwang auch eine leise Wut mit. Und diese Wut half ihr schließlich, sich für die nächsten Stunden von ihren trüben Gedanken zu verabschieden. Trübe Gedanken, die viel zu viel Raum einnahmen und somit ihre Kreativität blockierten. Und dabei gab es doch noch so viel zu tun.
    ***
    Eine halbe Stunde später hatte es sich Helena mit einem Erdbeer-Sahne-Tee vor ihrer Staffelei gemütlich gemacht. Sorgsam mischte sie die passenden Farben und widmete sich voller Konzentration ihrem noch nicht ganz vollendeten Gemälde. Es zeigte einen wohl proportionierten Männerkörper, der auf einem mit dunkelgrünem Samt bezogenen Diwan lag. Während sie überlegte, was sie am Gesichtsausdruck ihrer sinnlichen Schöpfung störte, warteten schon unzählige andere, wunderbar exotische Ideen darauf, von ihr auf Leinwand gebannt zu werden.
    Helena hatte noch viel vor. Sie lebte für ihre Karriere als Künstlerin und freute sich wie eine Schneekönigin auf ihre erste Ausstellung, auch wenn diese Freude zeitweise durch die Forderungen und Vorwürfe ihrer dominanten Eltern getrübt wurde. Bis zur Ausstellung musste dieses Bild unbedingt fertig werden, brachte es doch ihre außerordentliche Begabung zur Malerei unglaublich perfekt zum Ausdruck. Sie betrachtete ihren „Archimedes“, wie sie den Mann auf der monströsen Leinwand getauft hatte, liebevoll und begann sich seinem Kopf zu widmen. „Archimedes“ hatte verführerisches, langes tief schwarzes Haar und ein wahrhaftig unwiderstehliches Lächeln. Das Kinn stimmte noch nicht ganz, aber das würde sie schon noch hinbekommen. Eifrig tauchte sie den Pinsel in Farbe und begann hier und da eine Schattierung zu vertiefen und gewisse Punkte seines kräftigen Kinns besser hervorzuheben. Fast zärtlich führte sie den Pinsel über die Konturen des Gesichtes von „Archimedes“.
    Ein Traum von einem Mann, dachte sie versonnen. Würdest du mir im wahren Leben begegnen, würde es mich sicherlich umhauen. Ihr Blick tastete jeden Millimeter dieser erotischen Schöpfung ab und versank schließlich
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher