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Zu Hause in Almanya

Zu Hause in Almanya

Titel: Zu Hause in Almanya
Autoren: Aysegül Acevit
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bestimmte Lebenseinstellung, darum, dass man einfach lockerer ist und das Leben südländisch leichtnimmt, was ich sehr wohltuend finde.
    Erlebnisse wie diese, bei denen ich merke, wie ich mich als eine aus Deutschland kommende Türkin von denen in der Türkei unterscheide, hatte ich oft. Ich habe mehrmals erlebt, wie Geschäftsleute lange nach Ladenschluss noch einmal die Türen für einen Kunden öffneten, weil der noch dringend etwas brauchte, wie Busfahrer Leute kostenlos mitnahmen, weil sie kein Geld hatten, oder wie Menschen einfach Regeln übertraten, nur um jemandem zu helfen. Das macht in Deutschland kaum jemand – auch Türken dort machen es selten, wenn auch vielleicht öfter als manche Deutsche. Wenn ich dagegen in Istanbul beim Friseur oder beim Schneider auf exakte Erfüllung meiner Wünsche bestand, da ich schließlich dafür bezahlte, dann wunderten sich die einheimischen Kunden über diese komische, aufgeregte Türkin, während sie selbst stets gelassen blieben.
    Diese und viele andere Situationen haben mir gezeigt, dass wir Türken in Deutschland in vielen Dingen die deutschen Gepflogenheiten übernommen haben. Sie sind uns selbstverständlich und meistens merken wir es nicht einmal.
    Das heißt natürlich nicht, dass alle Türken in der Türkei gleich sind, ebenso wenig wie alle Deutschen gleich sind. Aber es gibt Verhaltensweisen, die wir Menschen im Zusammenleben kultivieren und die aufeinander abfärben. Vielleicht wie bei den Weintrauben.
    Jedes Jahr siedeln fast 5 000 junge Türkinnen und Türken aus Deutschland in die Türkei über, und einige von ihnen lernte ich kennen. Sie veranstalten große Treffen und tauschen sich aus über die unzähligen gemeinsamen Lebenserfahrungen in Deutschland. Türken, die in Deutschland aufgewachsen sind, sind anders als in der Türkei. Abgesehen davon, dass auf diesen Treffen wesentlich mehr Bier getrunken wird, wie die Kellner erstaunt feststellten, sind die Almancý, die Deutschlandtürken, meist sensibler für Umweltschutz und gesundheitsbewusste Ernährung, haben mehr Verständnis für die Privatsphäre anderer und sind nicht gleich beleidigt, wenn jemand alleine sein will, wie es oft bei Türkeitürken der Fall ist. Und ich hatte den Eindruck, sie sind distanzierter und reservierter, auch regelversessener. Das sind alles Eigenschaften, die man eher den Deutschen zuschreibt, und vielleicht sagen deshalb viele Türkeitürken über uns, wir seien verdeutscht – almanlasm ýs.
    Diese Verdeutschung der Türken wird besonders geschätzt von deutschen Firmen, die in der Türkei eine Niederlassung haben, und es gibt inzwischen mehrere Tausend von ihnen. Deutschlandtürken werden dort mit Handkuss genommen, weil sie den Ruf haben, die »deutschen Tugenden« verinnerlicht zu haben. »Diszipliniert, pünktlich, korrekt, präzise«, so erklärte es mir der Personalchef einer deutschen Fluggesellschaft in Istanbul. Türken in der Türkei gelten dagegen als locker und bequem, aber dafür als kreativer und flexibler. »Türkisches Personal aus Deutschland hat beide Qualitäten, die deutschen und die türkischen, und sie können sich gut in die deutschen Kunden hineinversetzen«, sagte der Personalchef. Das kann man nur, wenn man auch selbst so ist – mehr oder weniger verdeutscht. Nur die Deutschen in Deutschland scheinen das nicht zu bemerken. Oder doch?
    Kein Handkuss für die Tante
    Zu besonderen Anlässen, wie etwa an religiösen Feiertagen, kann es vorkommen, dass die Wohnung voll wird. Meist sind es Nachbarn, die unangekündigt zu einer Stippvisite vorbeikommen, oder Bekannte und Freunde der Familie, die wenigstens einmal im Jahr zeigen wollen, dass sie einen nicht vergessen haben. Die Ehre gebührt dabei besonders den älteren Leuten in der Familie, also den Eltern oder Großeltern.
    So ziehen junge Mütter und Väter an diesen Tagen oft mit ihren Kindern an der Hand zu den Nachbarn, klingeln, werden hereingebeten, mit Umarmung oder mit Wangenküssen begrüßt und bleiben dann je nach Laune eine halbe oder auch viele Stunden. Das ungeschriebene alte Gesetz der Gastfreundschaft gebietet es, dass der Gast spontan hereinschneien darf und mit selbstverständlicher Großzügigkeit bewirtet wird. Die moderne Form verlangt zumindest eine kleine Ankündigung per Telefon. So steht zu Feiertagen in vielen türkischen Wohnungen allerlei Selbstgebackenes oder Gekauftes bereit und wird freudig aufgetischt und gemeinsam gemütlich vernascht, während man sich austauscht,
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