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Zorn - Wo kein Licht

Zorn - Wo kein Licht

Titel: Zorn - Wo kein Licht
Autoren: Stephan Ludwig
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Der Wagen ist auf den Rädern gelandet, die Airbags haben ausgelöst. Ich habe keine Ahnung, wie hoch die Brücke ist.«
    »Fünfzehn Meter«, knurrte Zorn »Mindestens.«
    »Dann hatte ich wirklich Glück.« Schröder seufzte. »Aber mein schönes Auto ist hinüber.«
    »Hauptsache, Sie sind gesund«, sagte Frieda Borck.
    »Das bin ich. Bis auf den Kratzer am Kopf.« Schröder strich sich über den dicken Bauch und verzog das Gesicht. »Und eine geprellte Rippe.«
    »Haben Sie sich untersuchen lassen?«
    »Nur kurz. Es gab genug Verletzte, die weniger Glück hatten als ich.«
    »Du hättest dich melden können«, murrte Zorn.
    »Das hätte ich, Chef. Aber mein Handy liegt irgendwo in den Trümmern, also bin ich hergekommen, so schnell es ging.«
    Zorn antwortete nicht. Er war immer noch sauer.
    »Jetzt«, Schröder klatschte in die Hände, »würde ich gern weiter arbeiten, wenn’s beliebt. Und ich muss mich um ein neues Handy kümmern.«
    Frieda Borck öffnete die Tür.
    »Aber vorher gehen Sie zum Arzt! Betrachten Sie das als dienstliche Anweisung!«
    Schröder senkte ergeben den Kopf.
    »Sehr wohl, Frau Staatsanwältin.«
    »Wir sind wirklich froh, dass Ihnen nichts passiert ist.« Sie gab Zorn einen unauffälligen Stups in die Seite. »Oder nicht?«
    Natürlich, dachte er. Ich bin sogar heilfroh.
    Aber er sagte es nicht.
    *
    Claudius Zorn war ein Mensch, der seine Handlungen selten hinterfragte. Wenn er es denn tat, geschah dies nicht sehr sorgfältig und war weit entfernt von einer ernsthaften Analyse. Derlei Dinge waren ihm zu anstrengend, er beschäftigte sich ungern mit seinem Innenleben. Natürlich war ihm bewusst, dass er Schwierigkeiten hatte, seine Gefühle zu zeigen, dass er immer wieder Probleme bekam, weil er impulsiv, unüberlegt und egoistisch agierte. Aber so war er nun einmal.
    Im Großen und Ganzen hielt er sich für einen guten Kerl. Okay, er war vielleicht etwas eigen. Anders als die anderen. Ein Individualist, ein Einzelgänger. Einer, dem egal ist, was man über ihn denkt oder sagt.
    Eigentlich fand er das gar nicht so schlecht.
    An diesem Abend allerdings, als die Dämmerung bereits eingesetzt hatte und die Sonne allenfalls durch einen schmutzig roten Schimmer am Horizont hinter den Wolken zu erahnen war, saß Zorn daheim auf dem Sofa, rauchte, nippte ab und zu an einer Bierflasche und zweifelte.
    Malina war nicht da, er hatte die Gelegenheit genutzt und eine alte Pet-Shop-Boys-Platte aufgelegt, etwas, das er in ihrem Beisein nie gewagt hätte. Sie fand seinen Musikgeschmack altbacken, geradezu proletarisch, wenig originell. Aber das war etwas, worüber sich nicht streiten ließ, und wenn sie ihm Vorträge über anspruchsvolle Musik hielt, über Stockhausen, Miles Davis oder kubanischen Jazz, nickte er meist, als würde er verstehen, was sie meinte, lauschte stumm leidend den in seinen Ohren kakophonischen Klängen und hoffte, es würde bald vorbei sein. Aber er ließ sich nichts anmerken, denn er nahm Malina ernst. Irgendwann, so hoffte er, würde er verstehen, was sie meinte.
    Neil Tennant trällerte mit dünner Stimme irgendeinen süßlichen Käse über die East End Boys and West End Girls, Zorn steckte sich eine Zigarette an, lauschte den billigen Keyboardklängen und stellte fast ein wenig trotzig fest, dass es ihm gefiel, wobei er gleichzeitig überlegte, welcher Teufel ihn am Mittag im Büro der Staatsanwältin geritten hatte.
    Er war unendlich erleichtert gewesen, als Schröder so plötzlich wieder aufgetaucht war. Um ein Haar wäre er einem ersten Impuls gefolgt und ihm um den dicken Hals gefallen. Zorn hatte es nicht getan, mehr noch, er war fürchterlich wütend geworden. Warum? Lag es an der Anspannung, der Ungewissheit? Bestimmt, aber warum war er dann so aggressiv geworden?
    Vielleicht hatte es mit Frieda Borck zu tun, in ihrer Gegenwart fiel es ihm noch schwerer, seine Gefühle zu zeigen.
    Eventuell, überlegte Zorn, bin ich ja auch zurückgeblieben. Nicht geistig oder körperlich, sondern emotional?
    Die Musik war zu Ende, Zorn stellte sich vor sein Plattenregal und überlegte, was er als Nächstes hören solle. In einem Akt der Selbstkasteiung griff er zu einer Jaco-Pastorius-Platte, einem Geschenk von Malina. Bisher hatte er sich nicht getraut, sie aufzulegen.
    Du wirst es hassen, hatte sie mit schwarzem Kugelschreiber auf die Hülle geschrieben. Manchmal muss man sich anstrengen, um das Schöne zu verstehen. Gib dir Mühe!
    Das nahm sich Zorn dann auch vor, und als er die
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