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Zombieparade: Storys (German Edition)

Zombieparade: Storys (German Edition)

Titel: Zombieparade: Storys (German Edition)
Autoren: Max Brooks
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stellte einen neuen, vollkommen identischen her. Sie fand die Unterlagen der Firma online und gab einem Maschinisten vor Ort eine Kopie des Entwurfs. Sie ließ das Medaillon wie eine Meisterchemikerin altern  – die richtige Mischung aus Salz, Sauerstoff und künstlichem Sonnenlicht. Am wichtigsten aber war, sie achtete darauf, dass der Penny vor 1980 geprägt worden war, bevor die amerikanische Regierung den Kupferanteil so drastisch reduzierte. Schauen Sie, wenn man ihn plattdrückt und man das Metall im Inneren sehen kann … Entschuldigung … »zu viele Informationen«, wie ihr Amerikaner sagt. Ich erwähne das nur, um zu zeigen, welchen Aufwand wir hier bei unserer Arbeit betreiben. Ingvilde arbeitet übrigens, genau wie ich, für den Mindestlohn. Sie ist wie ich – »schlechtes Gewissen der Reichen«.
    Wir erreichen Deck F, die unterste Etage der African Queen. Auch hier herrscht künstliche Beleuchtung vor, wie auf dem Deck darüber, doch im Gegensatz zu dort sind die Glühbirnen hier so hell wie die Sonne vor dem Krieg. Wir versuchen, das Sonnenlicht zu simulieren, erklärt Kiersted, und
jedes Abteil ist mit Geräuschen und Gerüchen ausgestattet, die auf den Kunden zugeschnitten sind. Meistens etwas Friedliches – Kiefernduft und Vogelgezwitscher –, aber es kommt wirklich auf das Individuum an. Wir hatten einmal einen Mann vom chinesischen Festland hier … es war ein Testlauf, um festzustellen, ob es sich lohnt, dass ihre Regierung eine eigene Anlage errichtet. Er kam aus Chongqing und brauchte Verkehrslärm und den Gestank von Industrieabgasen. Unser Team musste tatsächlich eine Audiodatei spezieller chinesischer Autos und Lastwagen zusammenmischen, ebenso diese schädliche Mixtur von Kohle, Schwefel und verbleitem Benzin.
    Es gelang. Genau wie bei dem speziellen Penny. Es musste einfach gelingen. Warum sollten wir es sonst machen? Nicht nur viel Zeit und Geld opfern, sondern auch den Geisteszustand unserer Arbeiter gefährden? Warum durchleben wir immer wieder etwas, das die ganze geschundene Welt vergessen möchte? Weil es funktioniert. Weil wir Menschen helfen, wir geben ihnen genau das, was der Firmenname verspricht. Unsere Erfolgsrate liegt bei vierundsiebzig Prozent. Die meisten unserer Kunden schaffen es, an ihr altes Leben anzuknüpfen, ihre Tragödie zu überwinden, tatsächlich so etwas wie
»inneren Frieden« zu finden. Nur aus diesem Grund bin ich hier. Dies ist der beste Ort, das »schlechte Gewissen der Reichen« zu beruhigen.
    Wir kommen zum letzten Abteil. Kiersted greift nach seinem Schlüssel, dann dreht er sich zu mir um. Sie wissen, vor dem Krieg war »reich« gleichbedeutend mit materiellen Besitztümern – Geld, Sachen. Meine Eltern hatten beides nicht, selbst in einem sozialistischen Land wie Dänemark. Einer meiner Freunde war reich, bezahlte immer alles, obwohl ich ihn nie darum bat. Er verspürte ständig Schuldgefühle wegen seines Reichtums und gab mir gegenüber sogar einmal zu, wie »unfair« es wäre, dass er so viel besaß. »Unfair.« Zum ersten Mal, seit wir uns kennengelernt haben, verschwindet sein Lächeln. Ich habe nicht einen einzigen Familienangehörigen verloren. Im Ernst. Wir haben alle überlebt. Ich sah vorher, was passieren würde, »zählte zwei und zwei zusammen«, wie die Amerikaner sagen. Ich wusste genug, dass ich mein Haus verkaufte, das zum Überleben notwendige Werkzeug besorgte und meine Familie sechs Monate vor der großen Panik nach Svalbard brachte. Meine Frau, unser Sohn, unsere beiden Töchter, mein Bruder und dessen ganze Familie – sie leben alle noch – mit drei Enkelkindern und fünf Großnichten und -neffen. Mein Freund, der »so
viel« besaß, den habe ich letzten Monat behandelt. Man nennt es »schlechtes Gewissen der Reichen«, weil das Leben der neue Reichtum ist. Vielleicht sollte man es »Schande der Reichen« nennen, da Leute wie wir aus irgendwelchen Gründen fast nie darüber reden. Nicht einmal untereinander. Einmal traf ich Ingvilde in ihrem Laden. Sie hatte ein Bild auf dem Schreibtisch stehen, von mir weggedreht, als ich eintrat. Ich klopfte nicht an, daher überraschte ich sie ein wenig. Sie knallte den Bilderrahmen auf die Tischplatte, noch bevor sie sah, dass ich es war. Instinkt. Schuldgefühle. Scham. Ich fragte nicht, wen das Bild zeigte.
    Wir bleiben vor dem letzten Abteil stehen. Auf dem Schott neben der Luke liegt ein Block mit einer weiteren juristischen Regressverzichtserklärung. Kiersted sieht erst
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