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Zicke

Zicke

Titel: Zicke
Autoren: Sara Zarr
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fuhren gemächlich über die Kuppe des Crespi Drive. Die Nacht war klar und man konnte im Mondschein das bläulich-schwarze Meer erkennen.
    »Ich will damit nur sagen – schau ihn dir doch an!«, fuhr Darren fort. »Er kann dir nicht vergeben. Und mir nicht und Stacy und der Papierfirma auch nicht, nicht wirklich. Oder sich selbst, verstehst du? Er kann über all das einfach nicht hinwegkommen und sein Leben leben. Er kann ja kaum mit uns allen beim Abendessen sitzen, ohne so auszusehen, als würde er gleich einen Herzinfarkt bekommen.«
    Ich lachte. »Tja.«
    »Also höre auf zu glauben, dass du was Besonderes |224| oder anders bist, dass du dir selbst nicht wehtust, wenn du diese Sache mit Lee einfach so belässt.«
    » Okay
, Dr. Phil. Ich habe verstanden.«
    Wir drehten noch eine Runde und fuhren dann wieder ins Tal hinunter. Ich wusste, dass Darren recht hatte, aber es war schwieriger, als er es darstellte. Ich konnte jetzt sogar verstehen – wenn auch nur ein klein wenig –, dass es für meinen Vater leichter war, Menschen einfach abzuhaken und sich in sich selbst zu verschließen, als das zu tun, was nötig war, um die Dinge in Ordnung zu bringen.
    Dennoch verging ein Tag nach dem anderen, ohne dass ich einen einzigen Schritt machte.
    ***
    Darren schaffte es schließlich, das ›große Gespräch‹ zu organisieren. Er rief mich ins Untergeschoss zu sich und Stacy und teilte mir mit, dass sie jetzt allmählich so weit wären, auszuziehen. Es standen schon einige leere Kartons von
Safeway
im Zimmer herum. Obwohl ich es vorausgesehen und mich vorbereitet hatte, ergriff gleichwohl das Gefühl von mir Besitz, ich wäre von einer hohen Klippe gerutscht, nicht sicher, wo ich landen würde.
    »Es ist ein ziemliches Loch«, sagte Darren. »Aber wir nehmen es.«
    »Ich habe fast fünfhundert Dollar gespart«, erwiderte ich. »Wie ich schon sagte, die will ich euch geben.«
    |225| Darren schüttelte den Kopf. »Und wie
ich
schon sagte: Nein.«
    »Es ist mein Geld.«
    »Ja«, mischte sich Stacy ein. »Es ist ihr Geld.« April saß auf ihrem Schoß, saugte an ihrem Fäustchen und sah uns zu.
    »Ja, und es wird dein Geld bleiben«, antwortete Darren. »Nimm es fürs College, okay? Oder für sonst was. Verdammt noch mal, vielleicht willst du nach dem Abschluss eine Zeit lang mit dem Auto rumreisen oder nach New York ziehen oder was auch immer, ich weiß es nicht – aber gib es nicht uns.«
    »Ihr könnt es euch ohne das Geld nicht leisten, auszuziehen«, versuchte ich es noch ein letztes Mal, während ich den letzten verbleibenden Fetzen meines Traums davonwehen sah. Mir war klar, dass es vorbei war.
    »Doch, können wir. So was nennt sich Bargeldvorschuss und fünf Kreditkartenfirmen brennen darauf, mir einen zu geben.«
    Stacy seufzte. Sie hatte ihre Haare wieder gebleicht, doch vom Abendrot Kupfer hatten sie noch einen orange-goldenen Stich. »Darren, wir haben das besprochen.«
    Er wehrte sie mit einer Handbewegung ab. »Ja, ja, ich weiß. Aber wir werden es schnell zurückzahlen. Ich mache Überstunden.« Darren legte mir die Hand auf die Schulter – wenigstens etwas, denn umarmen würde er mich niemals. »Hör mal, du brauchst uns nicht dafür zu bezahlen, dass wir dich nicht vergessen.«
    |226| Stacy suchte meinen Blick und sagte: »Komm her.«
    Ich stand vom Fußboden auf und setzte mich neben sie auf den Bettrand. Sie legte die Arme um mich, die toughe Stacy, bei deren bloßem Anblick ich mir damals in den Korridoren der Terra Nova vor Angst die Hosen nass gemacht hatte. »Du kannst eine Zahnbürste bei uns lassen, okay?«
    Es war beschlossene Sache. Ich nickte und unterdrückte das Weinen.
    »Ja«, ergänzte Darren. »Denk nur an all das kostenlose Babysitting, das du machen wirst.«
    Ich zwang mich zu einem Lächeln. »Wir werden sehen.«

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    Eines Morgens im August traf ich in der Küche auf meinen Vater. Er blickte auf und dann sofort wieder runter auf seinen Kaffeebecher. So war es wochenlang gelaufen: Wir mieden einander, schlichen auf Zehenspitzen im Haus umher, spähten um die Ecken, um uns zu vergewissern, dass der andere nicht da war. Ich marschierte an ihm vorbei und holte mir eine Packung Cornflakes und eine Schüssel. Dann goss ich Milch ein und drehte mich um. Dad stand da und hielt mir einen Löffel entgegen. »Hier.«
    Ich nahm den Löffel und setzte mich. Doch Dad blieb stehen, seinen Kaffeebecher in der Hand, den Blick zu Boden gerichtet. »Die Schule fängt bald wieder an,
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